Wirklich, in den letzten Wochen hatte ich es nicht so mit Röhrenverstärker (Röhrentechnik allgemein). Ich war auch nicht HiFi-mäßig unterwegs sondern habe Internet-Radio über die TV-Soundbar gehört. Ist zwar kein Genuss, kann man aber tatsächlich zwei, drei Wochen machen – dann fängt es an zu nerven. Zum geniessen dann Röhrenverstärker eingeschaltet und die frisch gewaschene Scheibe „Tubular Bells» gehört. Was für ’ne Wohltat. Jetzt, wo die Aussentemperaturen wieder „röhrentauglicher» werden, dürfen die Elektronen wieder öfter durchs Vakuum gejagt werden. Ich stelle aber auch entsetzt fest, dass man sich leicht am komprimierten Klang gewöhnen kann…
Apropos Klang: Wann waren Sie das letzte Mal in einem Live-Konzert? Ich meine damit nicht die Giga-Events, sondern eher den „kleinen Rahmen». Dann wissen Sie auch, wie laut ein Schlagzeug sein kann und dass sich ein Kontrabass live auch etwas anders anhört, als man es von der Konserve her kennt. Wenn der Kontrabass gezupft oder die Saiten angeschlagen werden, kann es sogar passieren, dass die Saiten gegen das Griffbrett knallen. Das ist nicht schön, aber der Bassist hat „Spass inne Backen». Spielfreude eben. An das letzte Schützenfest haben Sie zwar nur eine vage Erinnerung, wissen aber, warum Ihnen von den Piccoloflöten die Ohren geklingelt haben. Und beim letzten Kneipenkonzert gab der Gitarrero auf der Akkustikgitarre Fingerakrobatik allererster „Kajüte». Da störte es auch nicht, wenn es beim Akkordwechsel fiese „Nebengeräusche» gab. Unvermeidlich, da der Griffwechsel auf den dicken umsponnenen Saiten (E, A, D) selten geräuschlos vonstatten geht. Völlig geräuschlos schafft das auch ein Mark Knopfler nicht.
Hören Sie das auch von Konserve? Ich möchte fast wetten, dass man so etwas heute kaum bis gar nicht mehr hört. Und schon gar nicht von explizit ausgewiesener „audiophiler» CD oder Schallplatte. Alles wegretuschiert (Remastert), weggerechnet (MP3) oder es wurde eine Melodiefolge solange wiederholt, bis sie „fehlerfrei» gespielt wurde („Audiophil»). Natürlich gibt es auch Bestrebungen, eine Studioaufnahme wie eine Session klingen zu lassen. Kings of Leon „Mechanical Bull» weist beispielsweise Session-Charakter auf (Patzer beim Bass inklusive). Aber sonst ist alles nahezu perfekt abgemischt und auf „tonale Ausgewogenheit» abgeglichen. Ganz extrem wird es beim klassischen Orchester. Hier besonders die Blasinstrumente. Auch die „erzeugen», zwangsläufig und völlig „unaudiophil», Nebengeräusche. Die allerdings man selbst mit Kopfhörer (akustische Lupe) nicht mehr hört. Alles weg.
Nein, nicht immer und nicht ganz. Es gibt tatsächlich auch Aufnahmen, die nicht so extrem manipuliert sind und man tatsächlich die „Nebengeräusche» hört. Nur „etwas» gedämpft. Es gibt, gerade bei Studioaufnahmen, auch Dinge, die werden Sie live nicht hören. Zum Beispiel deutliche Blasgeräusche beim Saxophon oder das Sustain beim (echten) Klavierspiel. Andersherum: Wenn Beth Hart (mit Bonamassa) „Nutbush City Limit» zitiert, dann hört sich das live besser an, als die antiseptische Studio-Version. Auf der Bühne lässt Frau Hart nämlich die Sau ’raus und lässt Tina (fast) vergessen machen. und die Hommage an Etta James erst (I’d rather go blind). Wie auch immer, gerade diese „Nebengeräusche», das perfekt „Unperfekte», macht Musik lebendig. Den einen oder anderen Patzer hört man auch auf „Tubular Bells» (Original-Aufnahme von 1973, bei der späteren CD-Version ist, so meine ich, die Retusche eingesetzt worden). Und selbst bei Pink Floyds Longplayer „Time» hat Alan Parson darauf geachtet, dass das Werk nicht zu sehr nach OP-Raum klingt.
Wo ich auch immer ein Hörnchen kriege: Irgendjemand will mir erklären, wie ein Stück zu klingen hat. Wo und wie breit das Orchester angeordnet ist, was man wie, wo, rechts hinten in der Mitte hören muss, damit es richtig „hochauflösend» klingt. Altersmilde frage ich bei solchen Statements immer: „Und? Pippi inne Augen?» Nein, diese Leute haben kein „Pippe inne Augen», weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, Musik zu sezieren und nicht einfach nur zu geniessen. Die wissen mit „Fuss wippen» nichts anzufangen, weil soviel Emotionen stören. „Noppenpelle» kommt in keiner Rezension vor, ist also ein Fremdgefühl. Wenn ich dagegen jetzt meine Frau zitieren würde, die bis ins Detail beschreiben kann, welche Emotionen ein Musikstück bei ihr auslöst, dann müsste ich diesen Artikel mit einer Altersverifikation versehen. Sie wissen schon…
Wie übrigens ein Musikstück zu klingen hat, steht nirgendwo und werden Sie auch nicht finden. Alles eine Erfindung von Leuten, die keinen Spass mehr daran haben, Musik einfach nur zu geniessen. Das sind genau die Leute, die zwischen E- und U-Musik unterscheiden. Diesen Blödsinn gibt es wirklich nur bei uns in Deutschland. Jeder Musiker wird „seine» Musik richtig spielen oder interpretieren. Er hat eine genaue Vorstellung von dem, wie es zu wirken, zu klingen hat und wird sich hüten das auch noch zu erklären. Er weiss ganz genau, dass Musik eine ganz individuelle und subjektive Sache ist. Es gefällt („Pippi inne Augen», oder „Fusswippmodus») oder es gefällt nicht.
Abschliessend ein alter Musikerwitz, der die Sache E- und U-Musik trefflich beschreibt: Ein Jazz-Musiker kennt 100 Akkorde und spielt live vor 5 Zuhörer. Ein Rock-Musiker kennt 5 Akkorde und spielt vor 100 Zuhörer. Sagt doch alles, oder?
Seien Sie Genussmensch (auch bei Jazz). Ob mit Röhrenverstärker, oder ohne. Egal, was andere sagen, tun oder denken. Ob mit Bier, Rotwein oder neuerdings mit Wiskey oder, so ganz als Hipster: Gin. Vor allem: Lassen Sie Fünfe auch mal gerade sein.
-Friedrich Hunold-