Recherche first!

Wie wichtig Recherche beim Kauf von Gebraucht-Röhrenverstärkern ist, möchte ich einmal anhand von zwei Beispielen darlegen. So unterschiedlich sie auch sind, sie haben eines gemeinsam: Der Kauf entpuppte sich als Fehlinvestition. Einmal war es der Name, der zur Verblendung führte, im anderen Fall entpuppte sich das Schnäppchen als Lehrgeld – mit gutem Ausgang.

Der Silvesterkater war noch nicht ganz auskuriert, als es schon losging. Bis in den Mai hinein bekam ich es mit „schweren Fällen» zu tun. Darunter auch alte „Schätzchen» mit dem Label „Made in W. Germany». Gemeinsam ist allen Verstärkern, dass sie aus dem riesigen Gebrauchtmarkt-Pool, mal billig, mal (über)-teuer(t), herausgefischt wurden.

Darunter auch ein ganz spezieller Fall: Eine gut 15 Jahre alte „Erbmasse». Der Verstärker sah so aus, als ob er gerade gefertigt wurde. Also kein Staub, kein Dreck, kein Siff – nichts. Blitzblank. Doch der Reihe nach.

High-End Sahneschnittchen?

Los ging’s im Januar mit einem angeblichen Sahneschnittchen. Hergestellt von einem „Nachfahren» eines Hiraga-Jüngers. Ja, genau der Jean Paul Hiraga, der für die französische Bastler-Postille „L’Audiophile» schrieb und bastelte.

Jener Kondensatorfetischist, der mit seinem japanischen „Kumpel» Anzai die SRPP-Schaltung in Europa berühmt und berüchtigt machte. Nun geht es aber nicht um Hiraga an sich, sondern um einen Vorverstärker, der nach „Hiraga-Art» aufgebaut wurde. Steht zudem stolz auf dem Verstärker.

Da ich diesen Vorverstärker nicht kannte, war also Recherche angesagt.

Das Ergebnis verhieß nichts Gutes: Viele Geräte waren bereits umgebaut oder gar verbastelt. Dazu viele Verkaufsangebote mit den typischen Floskeln. Auf einer bekannten Auktionsplattform wurde dieser Verstärker noch im Originalzustand angeboten und ehrlicherweise wurde auch der wohl typische Fehler genannt: Pegelunterschiede bei den Stereokanälen.

Das alles hätte stutzig machen sollen.

Auch das kein Schaltplan aufzutreiben war. Dann schauen wir uns den Vorverstärker nach „Hiraga-Art» mal genauer an.

Original gefunden:

Zunächst einmal viel esoterisches Voodoo-Zeugs. Angeblich kleine Pyramiden die auf Widerstände und Kondensatoren angebracht wurden. Meine Frau bezeichnete diese Wunderdinge schnöde als „Strass» und tippte sich mit dem Finger an die Stirn, als ich ihr erklärt hatte, was der „Glitzer» bewirken sollte. Ich konnte das nur deshalb nennen, weil der Klang-Schamane seine noch existierende Internetseite „verewigt» hatte. (Memo an mich: Bilder werden nachgeliefert, wenn ich sie gefunden habe.)

Wer glaubt, dass nur Frauen empfänglich für Esoterik sind, sollte sich mal in der Welt des High-End umsehen. Irgendetwas hat nie an unserem Schulsystem gestimmt. Naturwissenschaften werden total überbewertet…

Die harten Fakten:

Seriell geschaltete Siebelkos – ohne Spannungsteiler, Unmengen an Kondensatörchen die zusammen mit Widerständen so etwas wie „Klang» zauberten, gegenüber dem Eingangssignal eine „verdrehte» Phasenlage, Halbleiter deren Typenbeschriftung sorgfältig entfernt wurde, MKT-Kondensatoren im direkten Hitze-Dunstkreis der Röhren, ein Platinenlayout welches als Luftkondensator oder Antenne wirkt und – last but not least – ein fehlender Schutzleiteranschluss.

Letzteres – so scheint es – ist in Hiraga-Kreisen wohl normal… Ein Tipp für die Versicherungsgesellschaften: Fragt bitte mal nach, ob HiFi-Gerätschaften von „Hiraga» benutzt werden. Wenn mit „Ja» beantwortet, dann sofort die Prämie um 1000% erhöhen.

Nur nühsam konnte der Schaltplan als grobe Skizze herausgezeichnet werden. Die Art, wie der Verstärker aufgebaut wurde, war doch sehr „speziell». Ehrlich jetzt: Jeder Bastler hätte das besser gemacht.

preamp-skizze

Und jetzt ist eine reine Hiraga-Recherche angesagt. Ich wollte wissen, wieviel Hiraga in dem Verhau steckt. Das Ergebnis: Man hatte scheinbar die einzelnen Rezept-Ideen des Monsieur Hiraga in einen Topf geschmissen (zumindest was die Halbleiter-Sache betrifft), einmal kräftig umgerührt und das dann als „Vorverstärker nach Hiraga-Art» unter das blindgläubige „High-End Volk» gejubelt.

Das Gehäuse war schlichtweg eine Fehlkonstruktion und leistete einem massiven thermischen Problem Vorschub: Alle Bauteile, natürlich auch die Röhren, wurden hübsch warm. Das Gehäuse wies aber nur „unten» Lüftungslöcher auf. Es kann gut sein, dass in derartigen High-End Kreisen physikalische Gesetzmäßigkeiten nicht mehr gelten bzw. sich umkehren…

Alles Quatsch. Wärme steigt immer noch nach oben. „Oben» war am Gehäuse aber nichts, was die entstehende Wärme zuverlässig abführte…

Die Folge: Die Wärmeentwicklung wirkte sich unmittelbar auf die Halbleiter und die MKT-Kondensatoren (!) aus und veränderten mit der Betriebsdauer auch den Klang. Dreimal dürfen Sie nun raten, mit welcher Fehlerbeschreibung der Verstärker hier eintraf.

hiragaart2

Noch ’ne Heizung

Die Röhren wurden mit einem „modernen» Spannungsregler mit 12V (anstatt korrekterweise mit 12,6V) beheizt. Derartige Spannungsregler benötigen für den Eigenbedarf etwa 3V mehr Eingangsspannung, als die zu liefernde Ausgangsspannungsspannung. Weil es einfacher ist, „füttert» man den Regler meist mit 5V Aufschlag. Aber: Je mehr Aufschlag, desto mehr muss „vernichtet» werden. Oder, korrekterweise, „umgewandelt» werden.

Energie geht ja nicht verloren. Da darf es nicht wundern, wenn der Spannungsregler ebenfalls sehr warm wird, wenn am Eingang eine Spannung von nahezu 30V anliegt. Das Spielzeug-Kühlblech nützt nichts – und führte hier zu dem Effekt, dass sich die entstehende Abwärme unmittelbar auf eine Widerstandsbahn des Stereo-Lautstärkereglers (war schon durch wesentlich Besseres ersetzt) auswirkte – je mehr Celsius, desto mehr Ohm – ein Kanal wird also „leiser».

Reparaturversuch

Die kränkelnden (!) MKT-Ausgangskondensatoren wurden durch MKP ersetzt. Der Spannungsregler wurde zwecks besserer Kühlung am Gehäuse befestigt. Das Ergebnis war dann zwar deutlich besser hinsichtlich Stabilität – aber da war noch etwas…

Schaltungstechnisch hat man zwei unterschiedliche Vorverstärkerschaltungen, die man manuell (Schalter) auswählen kann. Egal, welchen Vorverstärker man wählt, eine Schaltung läuft immer im Leerlauf weiter und wird auch nicht ruhig gestellt. Bedingt durch das Platinenlayout und die doch sehr hohe Verstärkung kann eine Schaltung ins schwingen geraten, was dann ungebremst zum Ausgang geleitet und dem „aktiven» Vorverstärkersignal überlagert wird.

Und selbst wenn nichts schwingen sollte, schlägt sich das Eigenrauschen der betreffenden Verstärkerschaltung voll durch. Ich glaube nicht, dass das etwas mit Hiraga zu tun hat…

Ergebnis

Es lohnte nicht. Gute Vorverstärker gibt es für weniger Geld. Ohne „Hiraga-Zusatz». Übrigens: Im Zuge meiner Recherche stellte sich heraus, dass selbst Hiraga himself den Mantel des Schweigens über dieses Produkt ausbreitete. Eine Schaltplananfrage, an das real existierenden Unternehmen im Toblerone-Land gerichtet, blieb bis heute unbeantwortet.

Das Jahr 2018 war so jung. Und schon so verdorben.
Es sollte noch besser kommen…

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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