Sich ein Literchen Wasserglas zu besorgen, kann schon mal zu einer Comedy-Nummer werden. Getreu dem Motto „Buy local“ begibt man sich in den nächsten Baumarkt und steuert die Abteilung „Bau-Handwerk“ an. Weil Wasserglas ja angeblich hier oft eingesetzt wird. Anstatt nun lange zu suchen, befragt man einen Mitarbeiter.
Um den zu erwischen, sollte man taktisch klug vorgehen. Sobald man nämlich den Eindruck macht, dass man etwas ratlos ist und eine Frage hat, sind sie weg… Meiner war nicht schnell genug. „’Tschuldigung, wo ham se Wasserglas?“ Mein Gegenüber starrte mich entgeistert an und machte anstalten, sich mit dem Finger an die Stirn zu tippen. Er fing sich, zeigte zum anderen Ende des Marktes und gab als Orientierungshilfe „Fünfter Gang links“. Dann war er weg.
Richtig. Zwischen Teller und Töpfe gab es Glas. Für Wasser, Bier oder Wein. Alles im praktischen Sechserpack.
Im nächsten Baumarkt schlussfolgerte ein Mitarbeiter richtig, dass ich kaum die Abteilung „Bau“ aufgesucht hätte, wenn es sich bei dem Gesuchten um Haushaltswaren handeln würde. „Kenne ich nicht, aber Moment…“, war die Antwort. Er befragte seinen Kollegen und der hatte die Idee: „Komm se mal mit“. Schnellen Schrittes steuerte er die „Kamin-Abteilung“ an, griff dann zielsicher in’s Regal und holte eine Kartusche Schamottstein-Kleber zum Vorschein. Und richtig: Da war Wasserglas – vermengt mit anderen Stoffen – drin.
Wasserglas & Röhrentechnik
Die – für uns – wichtige Eigenschaft ist die Hitzebeständigkeit des Wasserglases. Was für einen Kamin reicht, reicht also für die Röhrentechnik locker. Im Baumarkt findet sich (wenn überhaupt) das flüssige Kali-Wasserglas, welches zusätzlich noch Feuchtigkeitsbeständig ist. Uns interessiert „nur“ das Natron-bzw. Natrium-Wasserglas.
Achtung! Der Begriff Wasserglas klingt auch oft viel zu billig. Wesentlich mehr Euros lassen sich erwirtschaften, wenn man Produkt einen Phantasienamen gibt und in der Deklarationsliste dann Kaliumsilicat oder Lithiumsilicat auftaucht.
Bei Online-Bestellung muss man ebenfalls aufpassen, nicht auf Panscher hereinzufallen, die die benötige 35% bis 40%-Lösung bis zur Unwirksamkeit „gestreckt“ haben. Ein halber Liter reicht für unsere Zwecke bis in dritte Erbgeneration. Gibt’s aber meist nicht, also greifen wir zur Literflasche.
Wasserglas hat die nette Eigenschaft, dass es nahezu unsichtbar, wirklich glasklar, „aushärtet“. Und Nein, unter Hitzeeinwirkung wird das Zeugs nicht härter…
Nachteil: Was einmal verklebt ist, bleibt bis auf weiteres verklebt. Wobei der Begriff
Kleben
eigentlich falsch ist. Das, was Wasserglas flüssig werden lässt, ist eben Wasser. Verdunstet es, wird das darin gelöste Zeug fest und verbindet bzw. dichtet (fast) alles ab, was damit in Berührung gekommen ist. Der Vorteil: Anders, als moderne „chemische Klebstoffe“, greift es die zu verbindenden Materialien nicht an.
Auch haben viele „chemische Kleber“ Schwierigkeiten auf Glas zu haften. Und das auch noch nahezu „unsichtbar“. Wird Kleber explizit als „Glaskleber“ ausgewiesen, greift es das Material an. Und genau das ist bei Röhren ja wohl nicht erwünscht. Abgesehen von der Haltbarkeit…
Hitzebeständig ist auch das Hochtemperatur-Silikon mit dem man die Scheibe in der Backofentür verklebt. Abgesehen von der Farbe (meist rot), ist das Silikon doch eher eine „Sauerei“ und braucht relativ lange, bis es wirklich fest ist. Mechanisch ist es auch nur geringen Belastungen gewachsen.
Insgesamt ganz anders das Wasserglas.
Röhren
Die erfahrenen Röhren-Sammler nutzen Wasserglas, um das gelockerte Röhrenglas wieder fest mit dem Röhrensockel zu verbinden. Im „schlimmstenfall“ muss ein mehr oder minder zähflüssiger „Wasserglas-Quarzsand oder -Talkum“ Brei hergestellt werden. Gut durchgetrocknet sitzt das Glas wieder bombenfest im Sockel.
Abgebrochene Führungsstifte bei EL34, KT88 & Co sind ja auch keine Seltenheit. Wasserglas hilft. Und das deutlich Zuverlässiger, als „moderne“ Klebstoffe.
Röhren, die oben am Glas einen Anschluss haben (Anode oder Steuergitter) haben auch genau da ihren Schwachpunkt. Wattestäbchen gut mit Wasserglas tränken und den Anschluss am unteren Ende, also am Glas bzw. Metall, rundherum benetzen – gut abtrocknen lassen, fertig.
Das macht man natürlich nicht in einem Zug, sondern lässt der Flüssigkeit Zeit, in die kleinste Ritze zwischen Anschluss und Glas einzudringen. Der Trocknungsvorgang sollte etwa zwei Tage dauern. Das hält erst einmal eine lange Weile. Die Gefahr, dass sich hier oben Luft ihren Weg in das Glas bahnt, ist vorerst gebannt.
Röhrenfassungen
Jeder altgediente Röhrenbastler jagt nicht nur hinter alten Röhren her, sondern auch hinter alten Röhrenfassungen. Besonders die alten Oktal- und Magnovalfassungen sind da begehrte Objekte. Da presst man oft mit sanfter Gewalt die Röhren hinein – und dann bleiben sie auch da. Sowohl elektrisch als auch mechanisch sicher und fest.
Ganz anders die heutigen Keramikfassungen, die mindestens mechanisch eine wackelige Angelegenheit sind. Wie oft mir die Ösen bzw. Kontakte da schon herausgefallen sind, weiss ich nicht. Auch beim herausziehen einer Endröhre hatte ich so manchesmal die Hülse an den Röhrenpins „kleben“.
Natürlich gibt es auch gute Fassungen. Die haben aber auch einen guten Preis. Dafür sehen die Fassungen mit den vergoldeten Kontakten aber auch gut aus. Was mich betrifft… Brauche ich nicht und ich bin auch nicht bereit, mehr wie zehn Euro dafür zu zahlen.
Generell soll man darauf achten, dass die Drahtstifte einer Röhre in eine Hülse gesteckt werden können. Gerade bei den Oktal- und Magnovalfassungen ist es eine gute Idee, die Hülsen (oder Kelche) noch etwas zu verengen, um wirklich einen sicheren Kontakt zu gewährleisten. Das ist aber eine „frickelige“ Angelegenheit. Die Gefahr, dass eine Hülse bzw. Lötöse „kaputt verarbeitet“ wird, ist hoch.
Um die Kontakte der Fassung – wie füher – stabil zu fixieren, wird ein Tröpfchen Wasserglas an den Lötanschlüssen (da, wo sie aus der Keramik herausführen) angebracht. Wirklich nur ein winziges Tröpfchen. Nach dem aushärten bewegen sich die Lötösen nicht mehr und bilden somit gute Voraussetzungen, dass die Röhre mechanisch fest sitzt und elektrisch immer Kontakt behält.
Kaminkleber tut es auch. Damit ist es sogar etwas einfacher. Einen Schönheitswettbewerb gewinnt man dadurch aber nicht. Doch was soll’s? Hauptsache die Röhre sitzt.
Schnelles und sauberes Arbeiten ist Pflicht. Schnell heisst nicht „hektisch vom Ecktisch“.
Nebenwirkungen
Bei einer Wasserglas-Behandlung geht naturgemäß auch einiges „daneben“, was dazu führen kann, dass beispielsweise die Fassungen an der Unterlage festkleben. Sobald die Flüssigkeit galertartig wird, ist es höchste Eisenbahn…
Die Luftfeuchtigkeit spielt ebenfalls eine grosse Rolle. Bei sehr trockener Luft, kann man beim aushärten zuschauen… Auch wenn das Natron-Wasserglas an sich eine harmlose Chemikalie ist, sollte das entsprechende Sicherheits-Datenblatt beachtet werden.
Nach dem aushärten haben die Kontakte natürlich kein Spiel mehr. Auch nicht mit Gewalt. Unter Umständen lassen sich die Röhren nicht mehr so ohne weiteres in die Fassung stecken, weil zuviel ausgehärtetes Wasserglas im Spiel ist. Dann muss der Dremel- oder das Proxxon-Bohrmaschinchen sowie der kleine Schlitz-Schraubendreher ’ran, um Platz für die Röhrenstifte zu schaffen.
Dabei sollte man mit geduldiger Vorsichtig agieren. Die Röhre muss, wie bei den alten Fassungen auch, mit sanfter Gewalt in die Fassung gepresst werden können. Und sie muss natürlich entsprechend mit etwas Kraftaufwand wieder abziehbar sein…
Bei meiner letzten Wasserglas-Aktion sind von 18 Magnoval-Fassungen „nur“ 17 übrig geblieben, weil ich bei der machanischen Nachbearbeitung etwas zu forsch war. Es braucht etwas Übung, um mit diesem alten „Kleber“ umzugehen. Lieber am Anfang zuwenig und bei Bedarf „nachkleben“, als sofort zuviel Wasserglas aufzubringen.
Ist, trotz aller Vorsicht, zuviel Flüssigkeit in’s Spiel gekommen, dann hilft nur eins: Schnell in’s Wasserbad damit. Optimal wäre hierfür das Bügelwasser, also eine 50:50 Mischung von normalem Leitungswasser und destilliertem Wasser.
Beim ersten Mal habe ich auch ein paar Fassungen versemmelt. Das sollte man in Kauf nehmen. In meinen Röhrenverstärkern (EL504 Push-Pull bzw. EL509 Single-Ended) gibt es nunmehr keine Fassungen mehr, die nicht mit Wasserglas behandelt wurden. Auch bei so manchen „China-Amps“ setze ich mittlerweile Wasserglas ein.
Wenn ich alte Röhrenfassungen zu einem akzeptablen Preis bekommen kann – gerne. Danach jagen tue ich aber nicht (mehr).