Wer sich mit HighEnd-Röhrenverstärker beschäftigt, kennt den Namen Roland Kraft: Ehemaliger Redakteur bei der „image hifi“ (hifi tunes), dann fidelity-magazin jetzt irgendwie „unabhängig“. Überzeugter Bayer, Hobbykoch, 300B-Versteher, Röhrenfetischist und seit längerem ein i-Kernobstliebhaber. Im Jahre 2005 fühlte ich ihm etwas auf den Zahn…
Herr Kraft, habe ich in der Einleitung etwas vergessen oder falsch formuliert? Am besten, Sie stellen sich selber vor, denn das kann keiner besser als Sie selbst.
Roland Kraft: Wer sich mit Röhren beschäftigt, läuft für Außenstehende mindestens unter „kauzig“. Kommen erschwerend High-End-HiFi, alte Radios sowie ein gewisser Hang zu Moppeds und Modellbau hinzu, gilt man schnell als komplett verrückt. Die mitleidigen Blicke ihrer Freundinnen schmettert meine bessere Hälfte aber mit dem Argument ab, daß ich dafür wenigstens kochen könne. Außerdem sammelt sie selber Antiquitäten, womit ein Teil meiner Spleens Gott sei Dank auf Verständnis stößt.
In der „Image HiFi“ stellten vor Jahren die Redakteure auch ihre Stereoanlagen vor. Ihr Bericht war mit Abstand der lesenswerteste. Was macht Ihre Verdier? Hören Sie immer noch mit dem Welter-Röhrenverstärker?
Roland Kraft: Eine gepflegte Platine Verdier hält ewig und ist deshalb ein Plattenspieler fürs ganze Leben. Mein Exemplar, inzwischen vielleicht 15 Jahre alt, spielt wie am ersten Tag. Den mit EB3 bestückten Welter-Eintakter gibt es ebenfalls noch, außerdem natürlich andere Röhrenverstärker plus Selbstgebautes und Gesammeltes. Audio als Beruf bedeutet freilich auch, daß das benutzte Equipment häufig wechselt und die eigenen Geräte quasi als Werkzeug und Vergleichsnormal herhalten müssen.
In dem zuvor genannten Bericht beschrieben Sie auch recht plastisch die Schwierigkeiten eines Familienvaters und Röhrenverstärkerbesitzers. Wohl jeder Familienvater konnte sich recht gut in Ihre Situation hineinversetzen. Beschreiben Sie Ihre Erfahrungen, wenn Röhren-High-End (HiFi) mit Familie kollidiert. Quasi als Resumee. Was würden Sie heute anders machen? (Anm. Dieser Artikel steht als PDF am Ende des Interviews zum download zur Verfügung)
Roland Kraft: Das durchaus interessante Experiment, die HiFi-Anlage eines Testredakteurs, Bastlers und Schallplattensammlers mit einem nicht allzu großen Wohnzimmer, einem Kleinkind und einer kaum an HiFi, dafür aber an Einrichtung interessierten Gefährtin zu vereinen, scheiterte letztlich doch am Durchhaltewillen meinerseits. Die Einsicht, daß Männlein und Weiblein grundverschiedene Lebewesen darstellen kommt spätestens dann, wenn klar wird, daß das Outfit eines Zimmers für eine Frau scheinbar fast existenzielle Wichtigkeit besitzen kann. Ich muß allerdings zugeben, daß meine sogenannte Anlage bisweilen eher einer Elektrowerkstatt mit angegliedertem HiFi-Laden glich (was mir persönlich als Wohnzimmer durchaus zusagte).
Im Nachhinein betrachtet würde ich an der Wand aufgehängte Lautsprecher und statt eines monumentalen Laufwerks die Nutzung eines CD-Players empfehlen. Unsere jetzigen Wohnverhältnisse machen es aber möglich, meinen Betrieb aus dem Alltag herauszuhalten. Böse Zungen behaupten aber nun, mein Refugium unterm Dach sei ein Radio- und Röhrenmuseum mit begehbarer HiFi-Anlage. Außerdem werde ich fälschlicherweise beschuldigt, verstaubte Mittelwellen-Radios im ganzen Haus zu verteilen und permanent Stellplätze für Röhrenvitrinen auszukundschaften …
Jeder hat so seine eigene Vorstellung über seinen Traum-Röhrenverstärker und Traum-Lautsprecher. Wie sollte Ihre Kombination (auch in Bezug auf Röhrenbestückung, Schaltungstechnik, Leistung, Schallwandler) aussehen?
Roland Kraft: Die Vorstellungen über HiFi – und über den „richtigen“ Klang – sind in der Tat grundverschieden. Und das ist letztlich auch gut so, sonst wäre uns ja langweilig, nicht war? Mein ganz persönliches Fazit – nach 25 Jahren intensiver Beschäftigung auch mit teils sehr teurer Unterhaltungselektronik – mündet ganz extrem in einem dünnwandigen »mitarbeitenden« Einweg-Breitband-Lautsprecher sowie Eintakt-Röhren-Endstufen. Davor mache ich keinen großen Unterschied mehr zwischen Analog- und Digitaltechnik, sprich zwischen Plattenspieler und CD-Player: Beide zählen zu den aussterbenden Rassen und werden bald nur noch von den Higendern am Leben erhalten. Der vorbespielten Kauf-CD gebe ich noch ein paar letzte Jahre, bevor kostenpflichtige, datenreduzierte Downloads und winzige Datenspeicher endgültig die Musikvermarktung völlig verändern werden.
Von einem guten, wirkungsgradstarken Breitbänder glaube ich Dinge gehört zu haben, die selbst „fünfstellige“ High-End-Lautsprecher nur schwerlich können. Aber diese Meinung muß subjektiv bleiben. Ich denke inzwischen, daß Klangempfinden, vor allem aber Erwartungen und Bedürfnisse im Hinblick auf Musikwiedergabe nicht verallgemeinerbar sind. Vor diesem Hintergrund – und vor dem zumindest rein technischen Perfektionsgrad moderner Gerätschaften – hat sich die herkömmliche, oft sogar nur meßtechnisch orientierte Testarbeit schon längst erledigt. Ein guter, auch erkennbar subjektiver, sich dennoch um Nachvollziehbarkeit in der Schilderung seiner Eindrücke bemühender Berichterstatter ist der ehrlichere Weg. 1,5 mehr Klangprozente für X im Vergleich zu Y sind doch genauso lächerlich wie einige Voodoo-Auswüchse der High-End-Szene und die Diskussion um die zweite Klirr-Stelle hinter dem Komma.
Was die Verstärker betrifft, so ziehe ich persönlich die Röhrentechnik vor. Aber lassen wir die Kirche im Dorf: Röhrenverstärker zu mögen, ist keine Religion, sondern eine mehr oder weniger fundierte Meinung. Genau so, wie des Einen Lieblingsfarbe Blau und die des Anderen Grün ist. Meine Lieblingsfarben sind Eintakter, bestückt mit Trioden wie etwa 300B, AD1, RE604, 45 oder VT52. Was ich an solchen Verstärkern mag, ist nicht nur ihre Röhrentechnik, sondern auch ihre klangliche Vielfalt, deren unterschiedlicher „Geschmack“ an gute Weine erinnert. Wer einen im althergebrachten Sinne „perfekten“ Verstärker sucht, landet womöglich bei einer meßtechnisch unangreifbaren Black Box voller Chips. Und stellt dann oft genug fest, daß ihm – technisch, klanglich und optisch – sterbenslangweilig ist …
Zur Ihrer Arbeit bei der „Image-HiFi“: gibt es redaktionsinterne Wettbewerbe (z.B., welcher Verstärker feiner auflöst oder den tiefsten Bass erzeugt)?
Roland Kraft: Nein, so etwas gibt es nicht. Wir müssen Gott sei Dank weder Prozente noch Punkte verteilen. Image HiFi verfolgt das Konzept eines Autorenmagazins. Damit existiert weder eine Art von „Redaktionsmeinung“ noch ein einbetoniertes Kriteriengerüst. Den teils völlig unterschiedlich ausgerichteten Produkten des High-End-Marktes wird man so – wie wir glauben – am ehesten gerecht. Wer „ingenieursmäßig“ Punkte in Tabellen abhakt, bei dem schneidet ein Cabriolet schlecht ab, denn ihm fehlt ja das Dach. Durch dieses simple Beispiel ist klar, wo der Schwachpunkt ausstattungsorientierter Testerei alter Machart liegt. Aber natürlich kommunizieren die Image-HiFi-Autoren miteinander, oft werden die Geräte auch untereinander ausgetauscht, um weitere Meinungen einzuholen. Über feine Qualität herrscht erfahrungsgemäß Einigkeit.