Irgendwann packt es jeden. Es ist wie ein Zwang und dann muss es einfach sein: Eine 300B Single-Ended muss ins Haus. Aber zackig. Beim erstbesten Händler irgendeinen Bling-Bling Verstärker geschnappt, zuhause hingestellt, eingeschaltet und – langes Gesicht gemacht…
Etwas weniger „zackig» hätte gut getan und man hätte viel Geld gespart. Von dem nun zu lang geratenen Gesicht ganz zu schweigen. Hier mal die häufigsten Kritikpunkte: Lautstärke, Dynamik, Stereobühne, hört sich an wie eingeschlafene Füsse…
Hinweis vorweg: Dieser Artikel wurde zuletzt 2023 überarbeitet. Fehler und Missversändliches… Sie wissen schon… Textstellen, die eigentlich nicht zum Thema gehören, sind ersatzlos weggefallen.
300B und das Watt
Das Menue „300B Single-Ended», das mit Ach und Krach gerade einmal sechs bis acht Watt produziert, wird erst dann zu einem klanglichen Geschmackserlebnis, wenn „laute» Lautsprecher zur Verfügung stehen – also alles ab 92dB (1W/1m) aufwärts. Die Installation des legendären WE15A-Horns nebst Original Western Electric Frequenzweiche und Tiefton-Ensemble oder eines Paragon-Möbels geht von mir aus zwar in Ordnung, sollte allerdings besser im Vorfeld mit dem Architekten, Tine Wittler und/oder Ehepartner abgeklärt werden.
Die restlichen Kritikpunkte werden zur „Auflockerung» im Artikel eingearbeitet bzw. erledigen sich von ganz alleine… Das setzt natürlich voraus, dass Sie zuerst diesen Artikel komplett bis zu Ende lesen und sich erst dann an den Einkauf und die Konstruktion machen…
Ist so ein lauter Lautsprecher vorhanden bzw. steht auf der Einkaufsliste? Toll. Die erste Hürde ist genommen. Kommen wir zur Optik, sprich dem WAF. Die meisten (guten) Röhrenverstärker dieser Art sehen aus wie eine Mischung aus Bauhaus-Stil und angewandtem Maschinenbau. Damit können Sie und Ihr(e) Partner(in) auch gut leben? Super. Sie können löten? Zumindest kennen Sie jemanden, der das kann? Wird ja immer besser. Letzter, aber trotzdem sehr wichtiger Punkt: Sie, oder derjenige der löten kann, bewegt sich auch noch unfallfrei in einer Röhrenschaltung herum und kann vor allem die Messergebnisse richtig interpretieren? Ja? Na, dann sind Sie hier richtig.
So eine klassische 300B-Schaltung können Sie nämlich nur noch selber zusammenlöten und das, ohne sich bis ans Lebensende zu verschulden. Natürlich gibts auch die eine oder andere Fertignahrung – da gefällt mir aber der Preis nicht. Die „Haute Cuisine» der Röhrenverstärkertechnik gibt’s auch wesentlich preiswerter – ganz ohne Schamanenaufschlag „Notabgabe Künstler».
300B-Röhrenverstärker à la carte?
Das Geheimnis eines zackig laufenden „à la carte» Geschäft heisst Mise en place. Genauso wollen wir es mit dem 300B-Menue halten. Sich „mal eben so» an dieses Gericht zu wagen, geht ohne Vorbereitung schief. Und so einfach das Rezept auch zunächst aussieht, bei der Zubereitung können viele Fehler passieren und das ganze Gericht schlussendlich „verhunzen». Gut geplant ist halb aufgebaut. Und da wäre als erstes zu klären, ob es Monoblöcke oder ein Stereoblock sein soll.
Und, anders als Roland Kraft mit seinem 300B-Retroprojekt damals auf hifi-tunes, geht es hier wesentlich pragmatischer zu. Das bezieht sich nicht nur auf die Röhren, sondern auch auf die Verdrahtung. Während Roland damals (macht er heute immer noch) penibel auf Stufenmasse und Authentizität (da hat er leicht reden…) achtete und um jedes Zentimeterchen Litze ein „Hochamt» veranstaltete ( 😉 ), lege ich einfach einen dicken Kupferdraht als Masseschiene über die Schaltung. Fertig. Ist zwar nicht authentisch, habe dafür aber ein „gefährliches» Brummproblem (durch Potentialunterschiede) weniger.
Um zu verstehen, was man da damals gebaut hat, sollten Sie sich wirklich erst den oben genannten Link zur WE-91 Röhrenschaltung durchlesen. Ich brauche mich dann hier nämlich nicht zu wiederholen. In der „modernen» Fassung ist die erste Verstärkerstufe komplett weggefallen. Heute liefern übliche Signalquellen einen Spannungspegel, die den Treiber (also die zweite Röhre) direkt ansteuern können.
So, und nun muss ich mal eben den Flux-Compensator einschalten…
Zeitsprung
Irgendwann in den 1980’er Jahren wurde der 91A (oder B) für HiFi entdeckt und damit nahm das „Verhängnis» seinen Lauf: Die 300B wurde zur „Queen» aller Trioden gekürt und die Röhrenschaltung an sich als das „Non plus Ultra» in der Verstärkertechnik erklärt. Einfach so.
Es folgten diverse Nachbauten. Mal mehr, mal weniger gekonnt. Hier tat sich besonders La Maison de L’Audiophile mit abgewandelten 91A– und 91B-Bausätzen hervor, just zu der Zeit, als z.B. in Deutschland japanische Halbleiterverstärker „en vogue» waren und man Röhrengeräte reihenweise auf die Müllkippe warf (bzw. die landeten da gar nicht erst – die Japaner sammelten – notfalls kauften sie – den Röhrenkram wie blöde. Mann, was waren „wir» damals bescheuert…). Heute existiert in Japan (Asien allgemein) eine lebhafte Vintage-Röhrenszene.
300B und der „Zeitgeist»…
…dieser Jahre war (leider) auch, dem Verstärker sein Eigenleben, seine Individualität, zu berauben. Wer auf diese hirnrissige Idee kam, weiss ich nicht: Eine „brutale» Gegenkopplung, die jede noch so kleine Oberwelle (Klirr) auf Linie stutzte und Kapazitätgigantismus im Netzteil (auch oder gerade in den L’Audiophile Verstärkern zu finden). Letzteres sorgte zwar für Null-Brumm, aber auch für einen sehr „langsamen» und „langweilig» klingenden Verstärker.
An einem Totenbett war mehr Stimmung. Die meisten 300B-Verstärker aus dieser Zeit (als Fertignahrung oder „selbst zusammengerührt») hatten auch genau deswegen ihren schlechten Ruf weg. Dabei konnte die 300B gar nichts dafür. Sie konnte auch nichts dafür, dass sie mit zimmerhohen 75db-Lautsprechertürmen und einer monströsen Frequenzweiche fertig werden musste, nur weil das gerade so modern war.
„Sound Practice» (eine amerikanische Bastler-Postille) unternahm 1992 noch einen Versuch, die verbliebene Trioden-Bastler auf den richtigen Weg zu führen. Erfolglos. Der Ruf war ruiniert und der Zug abgefahren.
Achtung! Diesen WE-91 300B-Nachbau bitte so nicht in die Praxis umsetzen!
Dann waren die Pentoden ’dran. Sie wurden per se als Übeltäter gebranntmarkt, weil sie ungradzahlige Oberwellen produzieren. Und ungradzahlige Oberwellen (k3, k5…) sind die Wurzeln allen Übels. Irgendeinen Übeltäter muss die Menschheit ja haben.
In der Folgezeit entstanden (entstehen) so 300B-Röhrenverstärker, die „vorne» mit Trioden bestückt waren (sind): ECC-Schlagmichtot oder 6SN7 in jeder nur erdenklichen Schaltungsvariation (besonders beliebt war und ist die frigide SRPP-Variante. Warum man da auch noch eine hochverstärkende ECC83, respektive 12AX7, einsetzt, weiss ich bis heute nicht). Ohne nachzudenken garnierte man das auch noch mit den Fehlern aus den 1980’er Jahren.
Das nun Folgende darf man eigentlich gar nicht so laut sagen…
Das antispetische Klangbild hat auch ein paar Bastler (Raten Sie mal aus welchem Land diese Bastler kamen…) gestört. Um sich nicht der Ächtung preiszugeben (pöhse Pentoden), bauten die dann 300B-Verstärker mit Zwischenübertrager (Interstage Transformer). Und solche Übertrager produzieren so nebenbei was? Richtig! Ungradzahlige Oberwellen. Eine andere „Protestform» war, die 300B mit Leistungspentoden bzw. -Tetroden wie 6L6GC oder EL34 zu befeuern. Die gleichen Typen die eine EF86 verdammten, bejubelten solche Verstärker…
Dann tauchten die ersten preiswerten China-Eintakter auf. Vorzugsweise mit Röhrenschaltungen, die man aus einschlägigen Bastlerforen kopierte – mitsamt allen Fehlern. Dazu wurde kräftig an der Optik poliert. Zu guter Letzt quetschte man aus den Röhren das allerletzte Milliwatt, was den Klang etwas „aggressiver» und weniger langweilig machte (letztendlich ist das aber nur eine um Hilfe schreiende 300B). Auch die Vorstufe (oftmals eine SRPP) wurde und wird so „konstruiert», dass sie mehr kreischt als Musik verstärkt. Die 300B verkam immer mehr zum Protz- und Guckmal-Objekt mit viel Schicki-Micki und Bling-Bling.
Die Rufe der „300B-Missionare», die 300B (2A3, AD1…) soundso zu beschalten und um Himmels Willen vernünftige Lautsprecher einzusetzen, verhallten ungehört. Man war nahe dran, diese „Ketzer», diese „Ewiggestrigen», auf den Scheiterhaufen zu werfen. Es mussten (schöngerechnete) einhundert Watt Verstärker mit drei Meter hohen, Vierwege-Lautsprechern sein. Diejenigen, die sich damals den „Ketzern» anschlossen, haben heute mindestens L’Audiophile Monoblöcke mit Original Western Electric Röhrensatz (nebst Ersatz für mehrere Generationen) sowie 94dB Breitbänder von Anno-Schnuff und rocken damit die Hütte.
Jaja, so grausig gings „damals» zu. So, und nun wieder den Flux-Compensator eingeschaltet und flux wieder zurück in die Gegenwart.