Ahnenforschung 300B: WE-91

„Nicht schon wieder ’ne Story über die 300B bzw. WE-91. Das interessiert doch keine Sau mehr. Haste nicht ’ne stärkere Single-Ended? So mit 845 oder 211?“ Doch. Hätte ich. Ich würde allerdings unweigerlich wieder auf den WE-91 zurückkommen. Denn vieles, was man im WE-91 gemacht hatte, lässt sich wunderbar auch auf andere Verstärker mit direkt geheizten Trioden anwenden. Und nicht nur da…

Hintergrund für diesen WE-91 Artikel ist (natürlich) ein 300B-Selbstbauprojekt. Doch, so eine Schaltungsbeschreibung ist keine einfache Kiste, wenn man unbedingt den historischen Bezug mit ins Boot holen will. Ohne diesen historischen Bezug geht es nicht. Zum Schluss war ich bei über zehn langen Seiten. Zu umfangreich für ein Online-Projekt. Das separieren ist logische Konsequenz und erlaubt dann auch wieder, hier und da etwas ausführlicher zu werden, um einigermaßen zu verstehen, warum man es damals so machte, wie man es machte.

we-91a

Erwarten Sie bei der (groben) Beschreibung nun aber bloss keine ehrfürchtige Lobhuddelei ob der „grandiosen“ und „einmaligen“ Technik. „Grobe“ Beschreibung deshalb, um die ganze „Choose“ auch noch für den Laien einigermaßen verständlich zu halten.

Historisches: Western Electric

Den Zahn muss ich Ihnen auch sofort ziehen: Wenn Sie denken, dass die Techniker von Western Electric (WE) jahrelang an diesem Verstärker (die Verstärker hat man damals einfach durchnummeriert) gefeilt haben, um das klangliche Optimum herauszuholen, dann irren Sie. Mit Klang an sich hatte man damals nichts am Hut und mit HiFi erst recht nicht (das kam ja erst in den 1960’er Jahren). Diesbezüglich waren die Konsumenten nicht so anspruchsvoll wie die Techniker. Alle Verstärker mussten „nur“ gut funktionieren. Und das so „kosteneffizient“ wie nur möglich, denn weder Western Electric in Amerika, noch Siemens & Halske in Deutschland waren vom Samaritergedanken beseelt. Oder, um es knallhart zu formulieren: Es ging um Knete. Asche. Kies. Geld. Macht. Oberste BWL-Grundregel: Mit geringen Mitteln, viel erreichen.

„Klang“ aus den 1930’er Jahren (so alt ist der ursprüngliche 300B-Verstärker nämlich) hat nichts mit dem zu tun, was man heute darunter versteht. Deswegen sind die Geschichten, man habe die 300B aus klanglichen Gründen entwickelt, ins Reich der Phantasie einzuordnen. Den WE-91 darf man durchaus als kleine prähistorische PA-Anlage mit Monitorsystem bezeichnen. Klein bezieht sich nicht nur auf die Grösse dieses Röhrenverstärkers, sondern auch auf die Ausgangsleistung, denn Western Electric hatte auch noch ganz andere „Klopper“ im Leasing-Angebot. Zum Beispiel die 86’er Verstärkerserie (Push-Pull mit zwei 300B’s oder die Apparillos mit zwei 845 in Gegentakt…).

Leasing? Na sicher. Damals hatte nämlich kaum einer soviel Geld, dass er solche Verstärker kaufen konnte. Western Electric vermietete deshalb das Equipment. Nebst Lautsprecher und knallharte Serviceverträge. Western Electric war ja nicht das einzige Unternehmen am Markt. Es ging um Knete, Asche… Na, Sie wissen schon: Umsatz, Umsatz, Tätärätä!

Leider gab es bei der Umsatzsucht eine kleine Lücke. Grösser und lauter konnte jeder. Es fehlte aber etwas „kleines“, universelles, „portables“, „preiswerteres“. Und in diese Lücke stiess eben die Single-Ended 91’er Verstärkerserie mit seinen angestrengten 6 Watt. Der WE-91 ist daher eher ein Low-Cost Produkt und nicht unbedingt für den (stationären) Kinoeinsatz konzipiert. Für grössere, noch dazu vollbesetzte, Kinosäle war die Ausgangsleistung des WE-91 viel zu mager. Das wusste man damals schon. Dieser Verstärker fand seinen Einsatz hauptsächlich in kleineren Sälen, „Wander-Kinos“, Stadien (die übrigens damals bedeutend kleiner waren als heute) und im Pferderennsport.

Klang? Naja. Die Verstärkerbandbreite, z.B., konnte man damals schon recht grosszügig auslegen, leider spielten da die Lautsprecher und vor allem die Aufnahmetechniken noch nicht mit. Begrenzt wurde daher „unten“ bei etwa 100Hz und „oben“ bei etwa 8kHz. Erst als RCA Mikrophone (!) entwickelte, die eine obere Grenzfrequenz von 15kHz (-3dB) aufwiesen, zog die Wiedergabetechnik langsam nach.

Die Firmenhistorie an sich ist noch eine andere Geschichte. Western Electric war damals ein Moloch und mischte überall mit. Auch – oder ganz besonders – ab 1939 und erst recht nach Pearl Harbor in der Militärtechnik (Funk und Ortungssysteme). Hier einmal ein anderer Vergleich: Western Electric war ein riesengrosser Supermarkt. Telefunken oder Siemens & Halske dagegen kleine „Tante Emma Läden“.

Kosteneffizienz – das hiess damals, dass man mehr oder weniger gekonnt „trickste“, um ans Ziel zu kommen. „Tricksen“ – was anderes ist das, ehrlich gesagt, auch nicht. Beispiel?

we92Im Verstärkermodell 92A von Western Electric (ein Push-Pull Verstärker mit 300A) sind zwei 15pF (alte Wertangabe 15MMF) Kondensatoren an den 300A’s kreuzgekoppelt verschaltet. Ich weiss ja nicht wie teuer damals 15pF Keramikkondensatoren waren, aber die Wirkung stand mit Sicherheit in keinem Verhältnis mehr zum Kapitaleinsatz: 1. Neutralisierte man damit die unerwünschte Millerkapazität der beiden 300A’s; 2. Man erreichte so ganze nebenbei eine verbesserten Freuenzgang (genauer Bandbreite) und 3. verbesserte man die Anstiegszeit (slew-rate) des gesamten Verstärkers. Drei wichtige Dinge die einen guten (Röhren-) Verstärker auszeichnete. Mit geringen Mitteln, viel erreichen… (Könnte man heute auch noch machen. Könnte…)

Auch in „unserem“ Röhrenverstärker finden sich trickreiche (und billige) Details. Einige davon werden zurecht nicht mehr beachtet, andere hingegen kann man – sollte man – sehr wohl nutzen. Dazu ist es aber notwendig, die „Trickserei“ zu erkennen und zu verstehen.

Der WE-91 Schaltplan:
we-91_circuit

Wenn Sie das Bild anklicken, wird der Schaltplan vergrössert. Im Bild ist oben rechts ein „Zoom-Knopf“. Ein Klick darauf und der Plan präsentiert sich im „Cinemascope-Grösse“ 😉 Sie können natürlich auch diesen PDF-Schaltplan nutzen. Lassen Sie sich nicht von dem eigentümlichen Zeichnungsstil beeindrucken! Thats WE-Style…

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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