Röhrenverstärker mit Mystery-X Faktor sind das Salz in der alltäglichen Werkstatt-Suppe. Da passieren manchmal Dinge, die eigentlich nicht passieren sollten und zunächst ratlos machen. Für die anfängliche Ratlosigkeit kann es mehrere Gründe geben. Ganz sicher ist jedoch, dass es für Mystery-X oftmals eine ganz einfache Erklärung gibt.
Was ist passiert?
Wie auch in vielen anderen Werkstätten, steht hier ein Röhrenverstärker „kopfüber» auf der Werkbank, wenn man daran zu arbeiten hat. Bei mir zeigen die Bedienelemente an der Frontseite zu mir hin. So habe ich auch die Röhren im Blick und kann bei Verdacht auf rotglühende Anodenbleche schnell reagieren.
Das habe ich mir so angewöhnt. Dieser Verstärker (Herkunft China) wurde diesmal jedoch „anders herum» auf die Werkbank gewuchtet, weil es sich so einfacher arbeiten ließ. Also nicht die Front zeigte zu mir hin, sondern die Rückseite.
Üblicherweise wähle ich dann auch sofort den richtigen Eingangskanal aus und stelle den Lautstärkeregler auf „ganz leise» bzw. „Null». So wie immer. Routine eben.
Hätte die Kiste anders herum gestanden…
Hätte, hätte, Fahrradkette… Stand sie aber nicht.
Vorhang auf für Mystery-X
Jedesmal, wenn nun der Verstärker eingeschaltet wurde, um hier und da Spannungen zu kontrollieren, kam es dann zu diesem Mystery-X Erlebnis:
Für ein paar Sekunden hörte man nämlich ein leises „Rrrrrrr». Das klang in etwa wie ein mechanisches Zählwerk, zB. von einer Uhr, wenn diese sich automatisch stellt. Dann wechselte das Geräusch über in ein Summen, bis es dann komplett verstummte.
Nanu?
Das Geräusch war nicht eindeutig zu orten. Trotz genauen hinhörens vermutete ich zunächst die Ursache im oder am Netztrafo. Da war es am lautesten. Eine mechanische „Einschaltverzögerung»?
Faszinierend, nicht wahr? Ist aber falsch.
Die Spannung war sofort da. Da nichts qualmte und es zu keiner sonstigen Fehlfunktion kam, wurde „es» dann auch irgendwann ignoriert. Bei Röhrenverstärker aus China wundere ich mich über gar nichts mehr…
Als die groben Arbeiten erledigt waren, musste natürlich abgeglichen werden. Zunächst nur die Vorstufe, dann den gesamten Verstärker. Eigentlich ein normaler Vorgang. Ich weiss nicht, wie oft ich das schon gemacht habe. Trotz gewisser Routine immer wieder interessant.
Also, Signalgenerator und Oszilloskop angeschlossen. Kontrolliert, Verstärker eingeschaltet und da war es wieder. Dieses mysteriöse „Rrrrrrr»…
Hat sich was mit Mystery-X
„Was, zum Henker, soll denn das? Woher kommt diese gewaltige Signalamplitude am Oszilloskop? Woher kommt der irrwitzig hohe Ruhestrom?»
Lautstärkeregler kontrolliert.
„Verdammt, wer hat den Lautstärkeregler auf fast ’volle Pulle‘ gestellt?»
Da sich kein Schuldiger freiwillig meldete, wurde der Regler wieder auf „Null» gestellt, der Messvorgang wiederholt und siehe da – schon wieder ein Signal, das nicht da sein dürfte.
Erst jetzt konnte die Geräuschquelle dingfest gemacht werden: Es war das Motor-Poti bzw. die Ansteuer-Elektronik für den fernsteuerbaren Lautstärkeregler.
Jedesmal nach dem Einschalten stellte sich am Motor zunächst eine undefinierte Spannung ein, die eben das „Rrrrrrr» verursachte. Nach ein paar Sekunden war alles stabil und dann drehte der Motor an (!) und verstellte den Regler etwas in Richtung „Laut» (das Summen). Je nach Anfangsstellung wurde es auch mal „sehr laut»…
Da darf man sich nicht wundern, wenn der Abgleichvorgang nicht so verläuft, wie es zu erwarten gewesen wäre. Oder man eine Signalamplitude misst, die eigentlich gar nicht vorhanden sein sollte…
Ursache?
Es stellte sich heraus, dass der Chip (ein waschechter Computer bzw.Microcontroller) der Ansteuerelektronik einen gewaltigen Hau hatte. Bekam der Chip nämlich seine Versorgungsspannung (die übrigens stabil anlag), durchlief er quasi einen „Selbsttest».
Der Chip schaltete dann sehr schnell nacheinander auf die verschiedenen Ausgänge hin und her. Diesen Impulsen konnte der träge Motor natürlich nicht richtig folgen, wusste also nicht, wohin er zu drehen hatte („Ja, was denn nun? Links herum, Rechts herum…»). Das verursachte dann das „Rrrrrrr».
Danach schaltete der Chip für etwa zwei Sekunden auf einen bestimmten Ausgang, was der Motor dann als „lauter stellen» interpretierte. Es summte. Erst danach war die implatierte Logik, so wie angedacht, zu nutzen.
Da das gewaltig nach einem Programmierfehler roch und der eigentliche Lautstärkeregler zwischen „10:00 und 12:00 Uhr» auch noch Kontaktprobleme aufwies, wurde sich dem dann chirugisch angenommen…