Was fürs Aug‘ und Ohr: Früher und Heute

Kennen Sie noch „MAD»? Also die Pflichtlektüre für pubertierende Teenager mit Alfred E. Neumann. Da gab’s früher mal die Reihe „Du weisst, Du bist ’Irgendwas‘, wenn…». Kennen Sie bestimmt. Wenn nicht, haben Sie was verpasst. In meinem Fall würde die Überschrift lauten: Du weisst, Du wirst alt, wenn…

Der Fingerzeig auf das Alter fing ganz harmlos an: Immer öfter wurde ich von meinen „Kindern» und von deren Freunden als „alter Herr» tituliert. Das darf man ruhig als Auszeichnung auffassen. „Hör mal, der alte Herr dröhnt sich wieder mit dieser komischen Techno-Musik zu!» Techno! Diese Jugend heutzutage. Keine Ahnung wer Kraftwerk war…

Der nächste Fingerzeig auf das Alter kommt von mir selber. Und ich hasse mich dafür. Weil ich den Satz hasse. Kennen Sie bestimmt: „Früher war das so und so…»

Schnitt.

Manchmal bewundere ich die HiFi-Leidensgenossen von der Halbleiterfront. Mit moderner Technik macht der Verstärker genau das, was er machen soll: Er verstärkt die NF-Signale. Watt? Nebensächlich. Da gibts nahezu keine Grenze… Open End, quasi. Probleme gibts nur, wenn man etwas im unteren Leistungssegment haben will. Zehn Watt? Haben Sie schon mal ein doofes Gesicht eines HiFi-Verkäufers gesehen? Spätestens da treffen sich Halbleiter- und Röhrenfixierte Lötkolbenjongleure zusammen. Und da sind wir beim Thema: Löten!

Wer Augen hat zu sehen, der sehe…

Früher (Ha!) konnte ich z.B. eine Lochrasterplatine mit IC’s und Transistoren bestücken und problemlos verlöten. Selbst die kleinste Lötstelle konnte ich zielsicher mit dem Lötkolben anvisieren und löten. Seit ein paar Jahren ist daran – ohne optische Hilfe – nicht mehr zu denken. Meine Lesebrille (Eins-Fünfer Glas) ist mein täglicher Begleiter geworden.

Vor ein paar Wochen musste der „alte Herr» aber feststellen, dass für feine Lötarbeiten selbst das nicht mehr ausreichte. Man flunkert sich ja gerne selber etwas vor und so trank ich literweise Karottensaft. Von wegen Carotin und Vitamin-A… Das verbesserte zwar nicht die Sehfähigkeit, bescherte mir aber einen Teint, um den mich jeder Solariumbesitzer beneidet hat.

Platinenbestückte Röhrenverstärker entwickelten sich deshalb immer mehr zu einem Abenteuer. Nicht so sehr wegen der eigentlichen „Löterei», sondern wegen der Kontrolle (Lötzinnreste, ungewollte Lötverbindungen etc.). Die Lupe wurde bei der täglichen Arbeit mein treuester Begleiter. Es entwickelte sich eine Vertrautheit und manchmal redete ich sogar mit ihr. Bis zu dem Tag, als ich feststellen musste, dass ich immer länger brauchte, um den richtigen Abstand – Lupe, Lötstelle und Erkennbarkeit – zu finden. Zum Schluss lagerte ich meine Werkbank auf die Terasse aus, denn bei hellem Tageslicht war die Lupe (samt Brille) überflüssig. Das wiederum kollidierte mit sozialen Kontakten rund um den Grill.

Der Optiker (Einzelhändler, keine Kette) knallte mir die ungeschminkte Wahrheit dann brutal ins Gesicht: „Wat dou brux, min Jung, dat is ne neje Spekuliermaschin‘. Dou büs jo ook över fifty Joar…» Eine neue Brille also. Ausschliesslich für die Fein-Arbeit an der Werkbank. Korrekturfaktor: „Zwo-zwo-fünef». Was soll’s? Der Trend geht ja eindeutig zur Zweitbrille. Ich gestehe: Es geht nun wesentlich besser. Viel besser.

Schnitt.

Wer Ohren hat zu hören, der höre…

Nein, einen Verstärker fürs Ohr brauche ich noch nicht. Der letzte Check verlief erstaunlicher Weise sehr gut. Erstaunlich ist das deshalb, weil ich dazu neige, akustische „Belastungstests» wörtlich zu nehmen. Wenn ein Röhrenverstärker das aushält, ist er reif für den „Kundeneinsatz» (Belastungstest mit der von der Jugend rufgemeuchelten Kraftwerk-Combo).

Meine heimliche Bewunderung für die Halbleiterfraktion rührt auch daher, dass die nie und nimmer Transistoren tauschen würden, um einen „druckvollen» und dennoch „seidigeren» Klang zu erreichen. Die würden auch nie und nimmer an irgendwelchen Einstellregler drehen, um den Verstärker zur Höchstleistung zu treiben. Da machen nämlich die Halbleiter ganz schnell dicht. Und das dann für immer. Entweder der Verstärker an sich funktioniert so wie gewünscht oder eben nicht. Ich habe gerade in diesem Bereich noch nie etwas „billiges» gesehen.

Da sind wir von der Röhrenfraktion eigentlich ganz arme Schweine. Bei jeder Gelegenheit wird uns nämlich das Geld aus der Tasche gezogen! Sei es beim importierten Röhrenverstärker der mit Phantasiewerten protzt, sei es beim Ruhestromabgleich, sei es bei den eigentlichen Röhren.

Gerade Röhren! Da war es nämlich wirklich früher schlichtweg besser. Da bekam man was fürs Geld. Und es war drin, was drauf stand. Ganz ohne durchgeknallte Reklame.

So. Und nun mache ich mal den Gernot Hassknecht. Die infarktverdächtige Akustik müssen Sie sich denken.

Was ich da in den letzten Wochen an Humbug gelesen habe… Sorry Leute, für die nun Hassknecht’schen Worte: Erstens sind wir im HiFi-Bereich und da gelten andere Gesetze als bei der Musikerfraktion und zweitens sind viele beschriebenen Eigenschaften ganz einfach vorsätzliche Kundenverarsche. Ja, ich wiederhole es gerne noch einmal: Kundenverarsche.

OK, ich lasse es ja gelten, wenn eine Röhre gegenüber der anderen „heller» oder „dunkler» klingt. Ich kann auch damit leben, wenn eine Röhrentype „kreischt». Aber viel mehr sollte es dann doch nicht mehr werden. Zumindest nicht für den HiFi-Bereich. Und immer auf den gleichen Röhrentyp bezogen.

Einige Röhren-Dealer kennen noch nicht einmal den Verstärker (HiFi) für die die neuen Röhren gedacht sein sollen und preisen mit rekordverdächtigen und dumpfsinnigen Marketingssprüchen Röhren an, die nicht in diesem Verstärker passen. Für Gitarrenverstärker mag das ja noch alles angehen (und selbst da zweifel ich immer öfter an den Sach-Verstand der Musiker)…

Da lobe ich mir mein Alter. Ich falle auf diese Scheisse nicht (mehr) herein. Letztens einen Verstärker mit (vermutlich billigen aber auf teuer gepimpte) Röhren gehabt die mit einem zusätzlichen „Qualitäts»-Aufkleber versehen war. Auf diesem Aufkleber waren Zahlen und Buchstaben zu finden für deren Entschlüsselung wohl eine Enigma nötig wäre. Was, zum Geier, sollen mir solche Angaben sagen? Die sagen keinem etwas. So etwas findet sich auch in keinem Röhrendatenblatt. Mal sehen, wann jemand mit den Phantasiewerten WC-00 oder WAF-95% wirbt.

Hören Sie auf den „alten Herrn»: Wenn Sie Röhren tauschen wollen, keine Ahnung haben, dann greifen Sie zur Not auf NOS-Röhren (muss nicht Telefunken sein – auch „Schaub Lorenz», „Valvo» oder „Sylvania» hatten hübsche Töchter) zurück. Ist zwar teuerer, aber Sie bekommen das, was drauf steht. Zu 99% wenigstens. Lassen Sie die Pfoten von dubiosen Röhren mit noch dubioseren Messangaben. Besonders dann, wenn Sie diese Gläser für HiFi-Zwecke benötigen. Als Messangabe interessiert nur Volt und Milliampere. Und nix anderes.

Schnitt.

Manchmal werde ich altersgemäß wehmütig und denke an früher. Aber nur ganz kurz. Früher war nicht alles besser, es war – zeitgemäß – nur anders.

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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