Retro oder Vintage. Nennen Sie es wie Sie wollen. Es geht um altes HiFi-Gedöns. Alt, aber nicht zu alt. Mittelaltes HiFi, also. Oder HiFi aus dem Mittelalter?
Erinnern wir uns: Als man hierrrzulande den guten Ton verrrgaß und dem Grrrossmachtwahn verrrfiel, forschte man in England und in den JuEsÄh bereits nach dem besseren, den guten Ton. Irgendwann nannte man die „naturgetreue Wiedergabetechnik» High-Fidelity, oder abgekürzt HiFi. Viel früher als man bisher angenommen hatte, redete man schon im „Radio Amateurheft» von 1936 (Dezemberheft) von HiFi bzw. von High-Fidelity. HiFi an sich war aber schon 1936 ein eher alter Hut. Das Ziel der „qualitativ hohen» Wiedergabe (so die etwas bessere Übersetzung) war schon viel früher bekannt.
Die erste HiFi-Modewelle aus den 1950’er Jahren ist vielen „alten Hasen» noch in Erinnerung. Aber nicht so sehr in diesem Land, denn nach Jahren der Entbehrung (Wiederaufbau) wollten sich die Leute etwas besonders gönnen (Wirtschaftswunder). Man haute sich die Wampe voll und kaufte Röhrenradios oder Röhrenverstärker mit Klangregister (alter Ausdruck für eine „Equalizer-Einstellung»), Klangregler und „gehörrichtige Klangkorrektur» (Loudness). Klangbestimmende Elemente, die in England und JuEsÄh schon verpönt waren. Kriegsbedingt hinkte Deutschland also HiFi-mäßig weit hinterher. Ende der 1950’er Jahre bis Ende der 1960’er Jahre entstanden vor allem in England Verstärker (Röhrenverstärker), die irgendwann zur Legende (gemacht) wurden. Auch so mancher Verstärker deutscher Herkunft schafften es in die „Hall of Fame». Dazu kam, dass der Transistor anfing die Röhrentechnik zu verdrängen.
Diese alten Röhrenverstärker sind in „Retro-/Vintage-Kreisen» nun heissbegehrte Objekte geworden. Aber…
Sind die Retro-Röhrenverstärker wirklich ihr Geld wert?
Um es mit Radio Eriwan zu halten: Im Prinzip ja. Nur sollte man wirklich nicht allzuviel davon erwarten. Retro-HiFi hat nichts mit den Ansprüchen von modernem HiFi zu tun. Es hat sich, falls Sie es noch nicht mitbekommen haben, nämlich viel in der Technik getan.
Heute bekommt man recht preiswert Bauteile (für den Röhrenverstärker), die wären früher schlichtweg unbezahlbar gewesen. Da musste man, ob man wollte oder nicht, tricksen, um mehr schlecht als recht ans Ziel zu kommen. Die deutschen Hersteller sahen sich zudem dem Dilemma ausgesetzt, dass die Nachfrage grösser war, als man anbieten konnte. Um die Nachfrage wenigstens einigermassen zu befriedigen, „entwickelte» man Röhrenverstärker aus vorhandenem Restmaterial. Und dann war da noch der Transistor…
Die meisten Retro-HiFi Jünger sind Leute mit Kenne – heisst, die können einen Widerstand von Kondensator unterscheiden, können löten, reparieren und improvisieren. Sich als technischer Laie auf Retro-Verstärker zu stürzen, geht in vielen Fällen gründlich daneben. Wenn Sie glauben, dass „früher alles besser» war, dann irren Sie sich. Gewaltig!
Das, was man z.B. heute den „Chinesen» ankreidet, findet sich in genau den alten Retro-Kisten wieder. Ob es nun ein knapp dimensionierter Elko ist, viel zu dünnes Drahtmaterial oder billige Röhrenfassung aus Presswerkstoff. Manchmal findet man auch eine absolut krude Röhrenschaltung. Auch sind nicht wenige Retro-Röhrenverstärker potentielle letale HiFi-Maschinen.
Deshalb eine Bitte: Auch als technischer Laie darf und kann man Jagd auf die alten Retro-Verstärker machen. Aber: Bevor Sie einschalten, sollten Sie das Ding technisch überprüfen lassen.
Grund für diese mahnenden Worte: Aktuell befinden sich zwei englische Verstärker hier im Behandlungszimmer.
Der eine ist ein gut 20 Jahre alter Röhrenverstärker, der so gut war, dass das Konzept nach wenigen Exemplaren eingestampft wurde. Selbst die Herstellerfirma verschweigt die Existenz dieses Exemplars. Hier hat man von allen guten (Teil-)Konzepten eines McIntosh oder Quad das beste herausgefischt und munter zusammengemixt mit dem Ergebnis, dass die Kiste unter bestimmten Voraussetzungen anfängt hochfrequenzmäßig zu schwingen. Das man einen Mehrstufenschalter, der nur bis zu maximal 250V/1A zugelassen ist, als Netzschalter für einen dicken Ringkerntrafo verwendet, sei nur am Rande erwähnt (ein Ringkerntrafo kann im Einschaltmoment durchaus bis zu 5 Ampere und mehr ziehen).
Der Andere ist ein Röhrenverstärker, der suggeriert, dass er den Eintritt ins Rentenalter bereits hinter sich hat und der wohl nie so richtig, wie gewünscht und gewollt, funktioniert hat – dafür sich aber mit einem klangvollen Namen schmückt. Tatsächlich ist der Verstärker aber erst 30 Jahre alt. Bei diesem Verstärker würde sogar der TüV dafür sorgen, dass er nie mehr ans Stromnetz angeschlossen werden kann. Auch dieser Verstärker war so gut, dass man sich anhand von mehreren ähnlichen Schaltplänen erst einmal vergewissern muss, was man an Hardware tatsächlich vor sich stehen hat (Serienkostanz war wohl ein Fremdwort). Auch dieser Verstärker existiert eigentlich nicht.
Retro-HiFi Gerätschaften, besonders die mit Röhren bestückten Dinger die vor 20, 30 Jahren auf dem Markt kamen, sind mit noch grösserer Vorsicht zu geniessen. Die aufkommende HiFi-Röhrenverstärkerwelle in den 1990’er Jahren hat viele Firmen dazu veranlasst, diesen Umsatzhype mitzunehmen. Ob „Kenne» in der Röhrentechnik vorlagen oder nicht. Sooo kompliziert ist es mit der Röhrenverstärkertechnik ja auch nicht, oder?
Kompliziert vielleicht nicht, aber der Teufel liegt bekanntlich im Detail. McIntosh, Leak oder Quad haben sich ganz bestimmt etwas bei den Schaltungskonzepten gedacht. Wenn man schon diese wirklich legendären Schaltungen zitiert, dann zitiert man am besten das Original. Die typische McIntosh-Übertragerbeschaltung mit anderen Schaltungstechniken zu kombinieren, ist gut gemeint – es stellt sich allerdings die Frage, warum zB. McIntosh das nicht gemacht hat (obwohl es bekannt war)?
So. Ich muss jetzt auf Visite zu meinen englischen Patienten.
Wir lesen uns.
-Friedrich Hunold-
PS: Nicht das wir uns falsch verstehen – es macht Spass, sich den alten Kisten zu widmen und die Sünden aus vergangener Zeit zu korrigieren… Mehr dazu später.
PPS: Ja, den „Vatertag» habe ich gut überstanden. Das Pulled Pork war auch lecker. Nur zu wenig.
Nachtrag 9.06.2015: Nein, ich habe nichts gegen alte Verstärker. Ich bin nur „verhalten optimistisch». Schon die damaligen Unternehmen – egal wie sie hiessen – waren keine Samaritervereine und nahmen das, was da war und machten daraus dann das Beste (zumindest hierzulande). Wenn man Glück hatte, ging es gut, bei weniger Glück wurde mitten in der Produktserie, still und heimlich, nachgebessert, was aber in keinem Schaltplan dokumentiert ist.