Automatische Ruhestromregelung

Die automatische Ruhestromregelung ist derzeit ein angesagtes Feature, um Röhrenverstärker besser an den Mann bringen zu können. In der Werbung ist alles eitel Sonnenschein. Schattenseiten gibt es scheinbar nicht. Bestimmte Verstärkermodelle mutieren mit der Ruhestromregelung gar zu Universalgenies: „Egal welche Röhre gesteckt wird, alle fahren mit dem gleichen Ruhestrom“ – so der Grundtenor.

Vorzugsweise findet sich die „Automatik“ in Gegentaktverstärker. Einige Modelle sind dabei in Deutschland nicht direkt verfügbar und müssen vom EU-Binnenmarkt quasi importiert werden. Gemeinsam ist jedoch, dass sie ein „Segen“ des „geplagten“ HiFi-Röhrenanwenders darstellen sollen. Nie wieder ein schlechtes Gewissen, weil die letzte Ruhestromkontrolle doch schon drei Monate her ist. So eine Überprüfung kostet schliesslich, denn die HiFi-Werkstatt lässt sich das auch standesgemäß entlohnen…

Eigentlich lobenswert, wenn die ehrliche Selbstreflektion davon abrät, in die Schaltung „hineinzukriechen“, um den Ruhestrom abzugleichen…

Alter Hut

Die automatische Ruhestromregelung hatte mich auch mal fasziniert. Irgendwann um das Jahr 2000. Ich habe es damals mit „dicken“ Transistoren gelöst, die sowohl statisch als auch dynamisch die Endröhre an die Kandarre nahmen. Ich bin aber auch ganz schnell wieder davon weg. Entschuldigt habe ich mich bereits.

Andere haben es mit „komplexen“ elektronischen Schaltkreisen versucht. In „Technikerkreisen“ als Operationsverstärker (OP-Amp) bekannt. Damit kann man nicht nur Vorverstärker bauen, sondern diese auch als „Vergleicher“ (Komperator) schalten. Hierbei gab es zwei Varianten, die ich in „Röhrenverstärker 4.0« schon beschrieben habe.

Ganz ehrlich: Wäre die automatische Ruhestromregelung wirklich so toll, sie wäre heute in Röhrenverstärkern „state of art“. Ist sie „state of art“?

Na bitte.

Automatik-Funktion

Damit man eine Vorstellung bekommt, wie die Automatik funktioniert, ein realexistierendes Schaltbild und eine stark vereinfachte Erklärung.

automatic-bias

Mit der Referenzspannungsquelle (um D4 und D5) wird ein bestimmter Grund-Spannungswert dem OP-Amp zugeführt. Hier beispielsweise ca. 0,8V. Da ein OP-Amp immer zwei Eingänge hat, nutzt man den anderen Eingang, um den Spannungsabfall an der Endröhre aufzunehmen. Hier 0,3V. Am Ausgang entsteht dadurch eine Differenzspannung, die genutzt wird, um den Transistor (BF423) entsprechend anzusteuern.

Je nach Höhe der Differenzspannung leitet der Transistor und „dosiert“ die Höhe der negative Vorspannung (-65V). Man muss sich immer vor Augen halten, dass das Spannungspotential am Steuergitter der Röhre gegenüber der Kathode immer negativer zu sein hat. Deswegen ja die negative Vorspannung.

In dem gezeigten Schaltplan arbeitet die Automatik nicht direkt mit der Vorspannung. Diese liegt nämlich zunächst in voller Höhe an der Röhre (g1) an und sperrt sie deshalb. Mit zunehmender Erwärmung der Röhre steigt der Spannungsabfall an der Kathode und nun kann die Automatik regeln. Ist die richtige Differenzspannung erreicht, hält die Automatik diesen Wert. Hierbei ist die korrekte Dimensionierung der Widerstände wichtig.

„Klitzekleiner“ Haken: Die Höhe der negativen Vorspannung muss so bemessen sein, dass damit die Röhre nicht (!) vollständig (!) gesperrt (!) wird. Liegt an der Kathode tatsächlich Null Volt an, wird es schwer für die Automatik. Also muss schon etwas „da“ sein – beispielsweise 0,05V Spannungsabfall. Damit kann die Elektronik arbeiten.

Technisch gesehen, lässt man auch die Referenzspannung nicht sofort in voller Höhe anliegen, sondern langsam auf einen bestimmten Wert ansteigen. Diese Zeitverzögerung ist wichtig, um die Aufheizphase der Röhren (da leiten sie ja gar nicht bzw. schlecht) quasi zu umgehen. Es sollte einleuchten, dass das nur mehr schlecht als recht funktioniert, weil die Aufheizzeiten nie gleich sind.

Die Aufgabe des Transistors ist, je nach Ansteuerung, die negative Spannung gegen die positivere Schaltungsmasse abzuleiten. Damit wird die Vorspannung „positiver“. Je positiver, desto höher der Ruhestrom. Das ist die „automatische Form“ der manuellen Ruhestromregelung, die schaltungstechnisch genauso aussieht.

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen.Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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