Die Gewinnung einer BIAS-Spannung (negative Gitter-Vorspannung) geht natürlich nicht nur mit einem Serien-Kondensator. Zumal diese Trick eben auch sehr tricky und keineswegs einfach handzuhaben ist. Wesentlich einfacher, aber mit einem erhöhten Aufwand, geht das mit dem BIAS auch anders. Nachteile gibt es so eigentlich kaum. Kaum!
Wie man aus „wenig“ Spannung, ganz ohne Trafo und Step-up Wandler („Flyback-Converter“), „viel“ Spannung macht, dürfte jedem gestandenen Elektroniker bekannt sein. Zumindest die Bastler, die sich mit „echter“ Hochspannung beschäftigen. Die Rede ist natürlich von einem Spannungsvervielfacher. Genauer: der Villard-Grundschaltung. Eine „Villard“ verdoppelt in etwa die Eingangs-Wechselspannung. Ist eine höhere Spannung erfoderlich, kann man mehrere „Villards“ nahezu problemlos seriell schalten bzw. kaskadieren.
Die Nährungsformel:
Wobei n die Anzahl der Villard-Schaltungen sind, UEin die Eingangs-Wechselspannung.
Sowohl die Villard-Schaltung als auch die Sache mit dem Serien-Kondensator ist mit einem Nachteil behaftet: Man nutzt einen Stromkreis für zwei völlig unterschiedliche Dinge. Auch als Verfechter der „reinen Lehre“, darf man ab und an Kompromisse machen. Diese Geschichte kann man also zunächst rein akademisch betrachten. Bei der BIAS-„Gewinnung“ mittels Kondensator bekommt die akademische Betrachtungsweise aber eine ganz reelle Bedeutung: Sackt die Versorgungsspannung aufgrund hoher Belastung ab, fällt natürlich auch die BIAS-Spannung ab. Da diese Spannung immer negativ zu sein hat, heisst das also, dass sie auf Grund der Belastung, positiver wird. Wird sie über einen zu langen Zeitraum zu positiv, weil die Bässe das Netzteil permanent „leersaugen“, dann darf man sich an glühende Anodenbleche ergötzen und der Röhre im Dreiviertel-Takt beim Sterben zusehen.
Die Villard-Schaltung, zur Gewinnung der BIAS-Spannung, ist diesbezüglich ungefährlicher. Da in 99% aller Verstärkerschaltungen die Heizspannung, unbeeindruckt von der abgeforderten Leistung, mit etwa 6,3V stabil anliegt, kann man wunderbar diesen Stromkreis nutzen. Die entsprechende Trafowicklung dürfte die „Mehrbelastung“ überhaupt nicht bemerken, denn für die negative Vorspannung ist ja kein hoher Strom erforderlich. Das „Drumherum“, also die eigentliche BIAS-Schaltung (Gleichrichtung, Siebung, Reglung), „frisst“ mehr Strom als eigentlich benötigt wird.
Der Nachteil von „Villards“ (je höher die Spannung, desto niedriger aber auch die mögliche Stromentnahme) spielt für uns also keine (kaum eine) Rolle. Sollte sich der Netztrafo trotzdem davon beeindrucken lassen (die Heizspannung sackt merklich ab), dann kann man sich dieses Abenteuer sparen und von vorneherein in einen neuen Trafo investieren…
Einen kleinen Nachteil hat die „Villard-Schaltung“ aber noch: Sie benötigt etwas Zeit, bis sie sich „eingeschwungen“ hat. Was man ebenfalls beachten sollte, ist das Zweckmäßige. Ich weiss nicht, ob es sinnvoll und zweckmäßig ist, aus 6,3V Heizspannung eine Spannung von 100V und mehr zu generieren…
Die Grundschaltung: 1 (eine) „Villard“
Mit fünf seriell geschalteten „Villards“ können problemlos etwa 60 Volt erzielt werden. Das dürfte für die meisten Röhren reichen. Die Spannungsfestigkeit der 470µF-Elkos beträgt in diesem Fall 16V. Eventuell funktionieren noch 220µF-Elkos. Man muss dann aber in Kauf nehmen, dass sich der Innenwiderstand der Villard-Schaltung entsprechend vergrössert. Bezüglich Polarität der Elkos: Bitte beachten, dass wir hier eine negative Vorspannung benötigen! An Dioden nimmt man, was man in der Bastlerkiste findet und entsprechend Spannungsfest ist (also 1N4002, 4003 … 4006 oder 4007). Wer so etwas klein und kompakt aufgebaut haben will, muss Adleraugen sowie eine sichere Hand haben. Dann darf man sich dann im SMD-Löten üben.
Nachtrag 23.11.2016: Ich bin aber auch ein Schussel! Schaltbild vergessen. Ehrlich. Wenn ich’s doch sage…
Den „Spannungs-Ausgang“ kann man sicherheitshalber noch mit einer Diode „entkoppeln“. Die gewonnene Ausgangs-Gleichspannung pulsiert natürlich. Ein nachgeschalteter Elko sollte das einigermaßen „bereinigen“ können. Danach folgt die „normale Schaltung“ (ein, zwei Widerstände, ein Trimmpoti) zur Regelung der negativen Vorspannung. Es ist von Vorteil, die BIAS-Spannung, je Röhre, nochmals mit maximal 10µF zu „glätten“.
Und warum das Ganze?
Die Gründe, warum man „plötzlich“ eine zusätzliche Spannung für Ruhestrom-Reglung (BIAS) benötigt sind vielfältig.
1) Man hat mit Blick auf die Jahresendabrechnung des Stromversorgers festgestellt, dass der reine Class-A Röhrenverstärker (egal ob Eintakt oder Gegentakt) ein Energiefresser ist. 300W und mehr sind wirklich nichts, wobei etwa 70% der Energie in Abwärme umgewandelt wird. Mit BIAS bzw. Ruhestromreglung werden die Röhren zu einer effektiveren Arbeitsweise gezwungen, was sich auch in der niedrigeren Leistungsaufnahme deutlich bemerkbar macht. Der Klang an sich leidet hierbei nicht! Achtung: Die Kathodenwiderstände sind natürlich zu ändern!
2) Besonders bei Gegentakt Class-A Verstärker kann die Ruhestromreglung zu einer höheren Ausgangsleistung führen.
3) Oder weil man festgestellt hat, dass sich eine Röhre ohne Ruhestromreglung sehr zickig verhält. Mit „Zwangsmaßnahme“ kann sich eine solche Röhre durchaus sehr „handzahm benehmen“.
4) Oder weil man die teure (und selten gewordene) Röhre schonend behandeln will.
5) Oder man hat die entsprechende Trafowicklung bei der Bestellung vergessen oder falsch dimensioniert (soll vorkommen).
6) Oder alles zusammen. Suchen Sie sich was aus.