Herstellervorgabe: Gitterableitwiderstand
Wie hoch der Gitterableitwiderstand maximal (hier R2) sein darf, gibt der Hersteller der Röhre vor. Eine gute Röhrenschaltung zeichnet sich dadurch aus, dass der Wert des Gitterableitwiderstandes erheblich unter dem Maximalwert liegt. Am Gitterableitwiderstand gibts zunächst einmal nicht viel zu „schrauben».
Die Formel für die (untere bzw. obere) Grenzfrequenz lautet:
Die Werte für R sind in Ohm (Ω) und für C in Farad (F) anzugeben und beinhaltet bereits die Abschwächung von -3dB!
Bitte beachten Sie die Doppelfunktion des Gitterableitwiderstandes! Wir können hier verkürzt ebenfalls Tau einsetzen und haben damit die Zeit (im Hinterkopf) wie lange es dauert, bis sich der Kondensator entladen hat!
Auch wenn wir es einfach und übersichtlich halten wollen, so ganz kommen wir um die Zeitkonstante (R*C) in dieser Grenzfrequenz-Formel nicht herum! Das „TauE» dient hier übrigens nur der Verdeutlichung (E für Entladung)! Die „andere» Zeitkonstante eben für die Aufladung.
Achtung: Die Formel gilt nur für die jeweilige Verstärkerstufe. Bei einem mehrstufigen Verstärker gilt eine abgewandelte Formel, wobei man hier voraussetzt, dass jede Verstärkerstufe die gleiche untere Grenzfrequenz aufweisen muss.
Wie bereits erörtert wurde, sollte die untere Grenzfrequenz erheblich unter 16Hz liegen. Wir einigen uns hier mal auf 10Hz.
Ein Röhrenhersteller gibt für einen Röhrentyp aber nun vor, dass der Gitterableitwiderstand mit maximal 200 Kiloohm zu bemessen ist. Als „guter» Bastler setzen wir natürlich nicht den Maximalwert als Musswert ein, sondern nehmen das, was wir „rein zufällig» in der Bastlerkiste finden: z.B. einen 100kΩ-Widerstand. Zur Wahl stehen 0,1µF und 0,22µF Koppelkondensatoren.
Zunächst die Grenzfrequenz mit dem 0,1µF (=0,0000001 Farad) Kondensator:
Und nun die gleiche Geschichte mit 0,22µF:
Theoretisch könnte man den 0,22µF Koppelkondensator einfach nehmen und gut ist. Die Grenzfrequenz ist in Ordnung und die Entladezeit liegt mit 22mS recht hoch (wird in der Praxis noch eine Rolle spielen!). Nur – wie sieht es im Zusammenspiel mit der Vorstufe aus?
Angenommen, die Vorstufenröhre besitzt als Anodenwiderstand einen nicht unüblichen Widerstandswert von 100kΩ Als gewünschte Zeitkonstante wählen wir hier, na sagen wir mal, 10 Millisekunden (10mS). Also, etwa 10mS bis sich der Kondi auf etwa 60% aufgeladen hat, um dann die Ladung durchzureichen.
Als Kondensatorwert wählen wir, zusätzlich zu den 0,1µF und den 0,22µF, noch einen „historischen» Wert von 0,047µF (Normwert, also die Hälfte von 0,1µF). Mit 0,047µF (47nF) ergibt sich eine Zeit zur Aufladung von knapp 5mS, bei 0,1µF (100nF) eben das Doppelte und bei 0,22µF sind wir bereits bei 22 Millisekunden. Zwanzig Millisekunden! Das ist in der Akustik sehr viel. Das (gesunde) menschliche Ohr ist durchaus in der Lage, Laufzeitunterschiede (Latenzen) von 5 Millisekunden wahrzunehmen. Ausserdem liegen wir mit 20mS weit über unser Ziel von 10mS. Was nun?
Mit einem 0,22µF Kondensator und 100kΩ-Widerständen erhalten wir zwar eine untere Grenzfrequenz von 7Hz, aber eine Aufladezeit und Entladezeit von etwa 20mS. Und jetzt verlassen wir mal kurz die Theorie: In der Praxis ist es nahezu unmöglich, den Kondensator komplett zu entladen. Heisst: Er wird wieder aufgeladen, noch bevor er richtig entladen wurde. Die verbliebene Restladung braucht dann natürlich nicht in den Aufladungsprozess einzufliessen, was dann wiederum Zeit spart… Und nun wieder zurück zur Theorie…
Wenn man den 0,22µF Kondensator behalten wollen, bleibt nun nicht mehr viel. Wir können lediglich noch am Gitterableitwiderstand schrauben. Am Anodenwiderstand der Vorstufe wollen wir zunächst mal nicht drehen. Wir wählen nun als Gitterableitwiderstand einen Wert von 150 Kiloohm. Das ergibt eine Entlade-Zeitkonstante von 33mS bei einer Aufladezeit von 22mS und eine untere Grenzfrequenz von knapp 5Hz (nur für diese eine Verstärkerstufe). Der Kondensator wäre demnach wesentlich schneller aufgeladen als entladen und über die Grenzfrequenz wollen wir mal nicht meckern (das relativiert sich eh, je mehr Verstärkerstufen der Verstärker an sich hat, trotzdem sind 5Hz arg niedrig). Trotzdem liegen wir immer noch weit über der (gewünschten) Auflade-Zeitkonstante von 10mS. Wir sind also nicht weiter…
Korinthenkacker
Korrigieren wir die Vorstufe etwas und kalkulieren mal mit Toleranzen: Anstatt 100kΩ Anodenwiderstand werden 90kΩ eingesetzt. Gleichzeitig verringern wir die Koppel-Kapazität auf 0,12µF. Voila! Knappe 11mS. Das ist ein guter Wert. Und die untere Grenzfrequenz? Die liegt mit 100kΩ Gitterableitwiderstand bei etwa 13Hz (bei zweistufige Verstärker wäre das noch Ok). Aber, da geht noch was und schnappen uns den zuvor erwähnten 150kΩ Widerstand für die Doppelfunktion „Gitterableitwiderstand» und „Entladewiderstand»: Als untere Grenzfrequenz erreichen wir damit knapp 9Hz bei knapp 20mS Entladezeit (das ist in etwa auch die Zeitkonstante bei 100kΩ). Wir wollten ja Korinthen kacken…
Das Ziel ist hier also vollständig erreicht und halten uns zudem noch an die Vorgabe des Herstellers, keinen Gitterableitwiderstand über 200kΩ einzusetzen. Selbst wenn wir hier den maximalen Widerstandswert einsetzen – an den Zahlen ändert sich kaum noch etwas.
Soweit erst einmal die Theorie die hier nur die Zeitkonstante und die Grenzfrequenz berücksichtigt. In der Praxis braucht man jedoch bei weitem nicht so pedantisch zu sein. Betrachten Sie diese Zahlenspielerei lediglich als Anhaltspunkt. Fünf Millisekunden mehr oder weniger machen den Braten zwar nicht fett – aber… Jeder Koppelkondensator braucht Zeit. Alles, was man einsparen kann, schlägt sich hinterher in der Summe nieder.
Am besten spart man also Zeit, wenn man so einen Koppel-Kondi erst gar nicht einsetzt. Ausserdem ist dann da keiner, der an der Phasenlage des Signals „herumfummelt»… Und über Grenzfrequenzen braucht man sich auch keine Gedanken mehr zu machen.
Und wozu jetzt das Ganze, wenn das Ergebnis eh schon feststand? Nun, denken Sie mal an die marktschreierisch angepriesenen Wunderkondensatoren. Also die, die einen „seidigen» Klang versprechen. Wie Sie sicher erkannt haben, ist der Koppelkondensator alleine und für sich genommen (das macht ja die Esoterik-Werbung) ein Nichts. Nur mit Hilfe von zwei schnöden Widerständen entfaltet sich das Gute. Oder das Böse. Je nach Betrachtungsweise.
Und diese zwei Widerstände sind in nahezu jedem Röhrenverstärkertyp unterschiedlich. Und damit ändert sich auch die Eigenschaft des Kondensators. Und jetzt führen wir die Erkenntnis, besser keinen Koppelkondensator einzusetzen, ad absurdum und fangen wieder von vorne an: Die Formel berücksichtigt lediglich die Kapazität. Es gibt bei den Koppelkondensatoren (Folienkondensatoren allgemein) gewisse Unterschiede die sich auch dadurch bemerkbar machen, wie schnell ein Kondensator ist… So, und jetzt dürfen Sie selber ausprobieren, welcher Kondensator in Ihrem Verstärker am besten „klingt».
Ich habs fast vergessen: Wenn man „gezwungen» wird, einen Kondensatorwert über 0,22µF einzusetzen, muss man sich auch vergewissern, dass die Vorstufenröhre die Kapazität auch „verträgt». Besonders bei einigen historischen Schaltungen kommen bestimmte Röhren nicht mit solchen grossen Kapazitäten zurecht.
Und noch etwas rund um den Koppelkondensator. Jetzt wirds aber arg Esoterisch.