NOS-Röhren oder Neu-Ware?

Bad Boys

Das sind geheimnisvolle 6SN7GT. NOS, natürlich. Bis zum September 2018 habe ich davon nie gehört. Andere, die ich zum „Verhör» vorgeladen hatte, auch nicht. Also kann’s nicht so schlimm sein, das Nichtwissen.

Offiziell existiert der Begriff „Bad Boy» nicht. Er wurde von einem „Spinner» (wer mit Röhren hört, ist sowieso ein „Spinner»), in den 2000’er Jahren, erfunden, der alle o.g. Gruppen in sich vereinte. Klanglich sollen diese Doppeltrioden der „nackte Wahnsinn» sein (Goldohren) und es werden deshalb nun hübsche Sümmchen bezahlt. Da sind die Schlemihls natürlich nicht weit…

Echte…

6SN7 „Bad-Boys» stammen von Sylvania. Herstellungsjahr Mitte/Ende 1951 bis 1952. Je Anodenblech (ist ja eine Doppel-Triode) findet man drei senkrecht angeordnete Löcher. Der Röhrensockel ist schwarz mit sattgrüner Beschriftung, typisches Sylvania-Logo und mit senkrecht ausgerichtetem Produktionscode. Die erste Zahl ist die letzte Zahl des Produktionsjahrs (in diesem Fall also 1 oder 2) und immer unterstrichen. Die letzten beiden Zahlen ist die Kalenderwoche.

Der Getterspiegel ist unten und kann durchaus ein Drittel der Glashöhe betragen. Die Glimmerscheiben oben und unten bilden ein Rechteck.

6sn7-bad_boys

Falsche…

„Bad Boys» gibt es, laut meiner Quelle, „angeblich» auch. Wobei der Kenner unter „Falsch» alles einordnet, was von den o.g. Merkmalen abweicht. Also auch „Bad Boys» mit JAN-CHS Signet. Oder echte Sylvanias mit nur zwei Löcher je Anodenblech aus dem Jahr 1955 (beispielsweise). Gewiefte Schlemihls machen daraus dann eine „Zwei-Loch Bad Boy» und vertickern die Röhre mit 300% Aufschlag (weil – natürlich – ganz, ganz selten).

Aufgrund des doch sehr beschränkten Produktionszeitraumes sind die „Bad Boys» allerhöchtens Sammlerobjekte. Technisch gesehen gibt es keine Unterschiede und ob sie klanglich wirklich das Maß der Dinge sind… Nunja. Muss jeder für sich selber entscheiden. Und jetzt eine kleine Feinheit.

„falsche» Fälschungen

Auch wenn es streng genommen keine Fälschungen sind, soll einmal dargelegt werden, woran man generell „echte» Sylvanias erkennt: Die Schrift am Röhrensockel ist gestochen scharf und nicht verwaschen. Egal, ob die Schrift weiss, gelb oder grün ist. Das Sylvania-Logo – ein stilisertes, auf Kopf stehendes Dreieck – ebenfalls. Die Schenkel des Dreiecks sind gerade und sehen nicht aus, als ob da jemand mit einem mordsmäßigem Kater ein Dreieck gemalt hat. Dazu eben der Produktionscode dessen erste Zahl unterstrichen ist. JAN oder CHS dürfen natürlich auch drauf stehen. Dann fehlt meistens der Produktionscode und das Logo.

Die Beschriftung bzw. Bestempelung der Röhren – wirklich, da haben die Hersteller damals penibel drauf geachtet. Das galt als sichtbarer Beweis für Qualität.

Sobald aber eine Charge Röhren von „Mitbewerbern» aufgekauft wurde, nahm man es nicht ganz so genau, mit der Bestempelung bzw. Beschriftung. So auch die Sylvanias, die ab etwa der 1970’er Jahre in den Handel kamen… Das muss nicht unbedingt schlecht sein!

So gibt es auch mit „Sylvania» bestempelte Röhren, die zB. von RCA stammen. Auch Sylvania konnte damals nicht immer die Nachfrage nach diesen Doppel-Trioden befriedigen. Die RCA-Röhren sind dabei nicht schlechter oder besser. Wie denn auch? Diese Doppeltriode war eine Gemeinschaftsarbeit von Sylvania und RCA. Nebenbei: Die „richtig gute» kommt allerdings von RCA und nennt sich 5692. Bevor man zuviel Geld für „Bad Boys» in den Sand setzt, würde ich eher zu diesen Röhren (mit rotem Bakelitsockel) greifen…

Halt! Bevor Sie nun auf die Jagd gehen, lesen Sie weiter. Vielleicht kommen Sie zu dem Schluss, dass eine Jagd nicht unbedingt lohnenswert erscheint…

„echte» Fälschungen

Besonders in den 1990’er Jahren gab es natürlich auch – mehr oder weniger – plumpe Fälschungen. Die „weniger plumpen» Fälschungen waren dabei teilweise sogar so gut, dass auch Kenner darauf hereinfielen. Technisch waren diese Röhren aber oft bestenfalls B-Ware. Und es war keinesfalls eine Seltenheit, dass in dem Glas nicht das drin war, was als Typenbezeichnung aufgestempelt wurde.

Gefälscht wurde dabei alles, was eine satte Gewinnsteigerung versprach. Telefunken-Röhren waren und sind ganz besonders „beliebt». Und es lohnte sich auch, mit viel Aufwand die Raute im Glasboden mit einem Laser zu fälschen. Telefunken-Röhren fanden und finden ihre Abnehmer. Weltweit. Warum, ist mir ein Rätsel geblieben. Nach dem Krieg hatte Telefunken nicht mehr viel zu melden. Der Markt wurde vom Philips-Konglomerat (bekannte Namen: Mullard, Valvo, Sylvania) berherrscht.

Heilsbringer NOS?

Kann man so also nicht sagen. Heute zumindest nicht mehr. Eine EF86 oder eine EF37-A hatte früher ihre Vorzüge. Rein vom technischen Aspekt her, sind diese Kleinsignal-Pentoden wirklich überholt. Es gibt heute – für NF-Zwecke – geeignetere Röhren. Das sind zu gut 98% echte, alte, Lagerware. Gerade diese (ungenannten) Röhren werden ja überhaupt nicht mehr hergestellt. Man könnte die verbliebenen Röhren-Hersteller durchaus als „Spekulanten» bezeichnen – sobald eine Hype losbricht, wird’s hergestellt.

Andererseits gibt es NOS-Röhren, die im Vergleich zu Neu-Ware, bedeutend „besser» sind. Besser hinsichtlich Klangeigenschaften. Das lässt sich aber pauschal nicht festmachen. In dem einen Verstärker sind sie das Non-plus-ultra, in einem anderen Verstärker grottenschlecht. Vorsicht ist geboten, wenn andere Nutzer Klangbeschreibungen geben! Das ist im höchsten Maßen subjektiv und man sollte sich das nicht zu eigen machen.

Die Qualität so mancher Alt-Röhre ist heute (!) auch nicht unbedingt immer der Bringer. In „modernen» Schaltungsapplikationen kann sich so manches Schätzchen als Zicke erweisen. Andere Röhren arbeiten nur dann wie gewünscht, wenn sie streng nach Herstellervorgabe eingesetzt wird. Hierbei ist (fast) immer zu bedenken, dass eine Schaltung aus den 1960’er Jahren heute wohl eher als No-Go eingestuft werden wird.

Manche halten es ja für ein Gerücht – aber die technische Welt hat sich doch weiter gedreht. Probleme mit Brumm (Heizung mit Wechselspannung) wird heute mit einer Gleichspannungsheizung begegnet – zur Hochzeit der Röhrentechnik ein Unding (siehe EF86 oder EF37-A). Niederohmige Signalpegel über 500mV sind heute „state of art» – damals undenkbar (zumindest was den HiFi-Bereich angeht).

Was für Kleinsignal-Röhren gilt, gilt auch für Leistungsröhren. Wieder einmal geht die Mär, dass Western Electric (die es so gar nicht mehr gibt) die 300B neu auflegen will. Ich frage mich nur, wie die das machen wollen…

Auch mit einer Allerwelts-EL34 treibt man es bunt. Manche schwören auf NOS, weil man diese Pentoden auch mit 800V in Gegentakt befeuern kann. Das war und ist eine seltene Applikationsschaltung die nur dem einen Zweck diente, Krach zu machen (100W in Class-B). Mit HiFi hatte diese Verstärkerschaltung nichts am Hut. Jede Neu-Ware ist heute für HiFi besser geeignet.

Warnung

Ja, so alte 211-, 845-, oder 813-, 811-Flaschen aus den 1930’er oder 1940’er Jahren sind schon was. Da weiss man, was man hat. Oder auch nicht.

Zwischen Glas und Röhrensockel ist zur Abdichtung ein Werkstoffgemisch verwendet worden, der einerseits die Hitze standhalten sollte und andererseits als nicht brennbar galt bzw. gilt. Die Rede ist von Asbest der dem „Kleber» beigemischt wurde. Die Klebewirkung dürfte heute gegen Null tendieren, weshalb der (Bakelit-) Sockel nur noch locker am Glas sitzt und nur noch durch die Anschlussdrähte zu den Stiften gehalten wird. Ist der Sockel auch noch – wie auch immer – mechanisch fixiert, dann ist das schon fast ein 100%-tiges Indiz für ein Asbestgemisch.

rv218

Faustformel: Je älter die Röhre, desto höher die Gefahr, dass man sich Asbest in’s Haus holt. Auch so manche 6SN7GT (!) nebst deren Varianten (!) bzw. Vorgängerversionen hat es sprichwörtlich in sich.

Jeder verantungsvolle Sammler versiegelt bzw. dichtet diese Stellen (zwischen Glas und Sockel) mit Wasserglas ab und sorgt damit auch dafür, dass der Sockel wieder fest sitzt. Danach rührt er die Röhre nicht mehr an. Sieht nicht unbedingt schön aus…

Asbest-verseuchte Röhren hatte auch schon mal und habe sie zu einem mehr als fairen Preis schnell verkauft.

Schnell entsorgt (Wertstoffhof, Abt. Gefahrgut) habe ich auch die sog. Quecksilberdampf-Röhrengleichrichter (mit oder ohne Reichspleitegeier, steckbar, schraubbar….). Besonders schnell wurde ich, als ich einmal das zersprungene Röhrenglas einer 300B gesehen habe. Ein seltener Fall – kann aber passieren. Auch wenn derartige Röhren Luft ziehen, ist das nicht Ohne. Und das passiert häufiger. Einfach das Fenster zur Entlüftung zu öffnen, reicht dann garantiert nicht mehr…

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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