Rolling, Rolling, Rolling… Rawhide!
Ein beliebtes Gesellschaftsspiel in der Röhrenverstärker-Szene ist das wilde Tuberolling, zu deutsch: Röhrentausch.
Jeder Röhrenverstärker-Besitzer, egal ob aus dem HiFi- oder Musiker-Lager, macht irgendwann bei dem Röhrentausch-Spielchen mit. Es ist wie eine Epedemie und fast keiner kann sich dem entziehen. Vielleicht ist ja doch was wahres dran, dass die als Geheimtipp gehandelte Röhre tatsächlich mehr Klang oder sogar mehr Leistung bringt…
Spielregeln für Röhrentausch
Die Regeln sind einfach und simpel in einem Satz erklärt:
Alles was in einem Oktal- oder Novalsockel passt, wird hemmungslos eingeflanscht.
Das Kleingedruckte
Wenn man dabei zu hemmungslos war, folgt danach meist ein Besuch beim Röhrenverstärker-Doktor, der den „zerschossenen“ Verstärker dann stationär behandeln darf.
Vorweg: Wenn ein Röhrenverstärker nicht „klingen“ will, hat dies mit Sicherheit andere Ursachen als eine vermeintlich „falsche“ Röhrenbestückung. Wie gesagt, fast jeder macht bei diesem Spielchen mit. Selbst die „Profis“, also die, die es eigentlich besser wissen müssten. Moment, so ganz stimmt das nicht, denn die „Profis“ bleiben beim Röhrentausch hübsch in der gleichen Leistungs- und Typenklasse. Heisst: Sie tauschen höchstens mal eine EL34 von (beispielsweise) JJ gegen (beispielsweise) Svetlana oder probieren verschiedene 300B’s durch. Dagegen ist nichts zu sagen.
Die, die nicht ganz soviel Ahnung von der Materie haben, fallen auf jede Hype herein, die durch ein Forum gejagt oder von unseriösen Vertrieben Verkaufsbuden „empfohlen“ wird und pflanzen zB. in einem EL34-Verstärker eine KT66, KT77 oder gar eine KT88. Oder aber es wird einem eine ganz bestimmte Röhre empfohlen, obwohl man nicht weiss, wie die Röhrenschaltung aussieht (das spielt nämlich – Oh Wunder – tatsächlich eine Rolle). Noch bekloppter: Das „selektieren“ von Vorstufen-Röhren (wobei natürlich nicht gesagt wird, worauf „selektiert“ wird). Ganz edel wird aber Umsatz generiert, wenn von eigenen „Spezialanfertigung“ einer Standardröhre die Rede ist. Spätestens jetzt sollten Sie die Verkaufsbude fluchtartig verlassen und bestellen im Netz dann NOS-Röhren.
Nicht nur, das diese Röhren meist einen anderen Heizstrom benötigen – den meistens der Netztrafo gar nicht mehr aufbringen kann und somit in die Sättigung gerät (er fängt an zu brummen) – auch der Ruhestrom muss noch eingestellt werden. Und als ob das nicht genug wäre, die KT88 – beispielsweise – wird (auch wenn der Heizstrom stimmen sollte) nie im optimalen Arbeitspunkt laufen, denn diese Röhre benötigt schon etwas mehr „Saft“, damit sie wirklich rund läuft. Last, but not least bekommt man fast immer ein Problem wegen dem blöden Gitterableitwiderstand. Dieses Zwanzig-Cent Bauteil (und nicht die Röhrenfassung) bestimmt, ob eine Röhre in diese Schaltung passt oder nicht. Von den technischen Daten eines Übertragers wollen wir erst gar nicht reden.
Aber es muss ja nicht unbedingt eine KT88 sein. Auch hört man oft, dass eine EL34 so einfach gegen eine 6L6GC (5881) auszutauschen wäre. Was Betriebspannung, Heizung und Sockelbelegung betrifft, kann das stimmen (meistens stimmt das aber nicht). Aber, um die 6L6GC (respektive 5881) optimal auszusteuern, ist wiederum eine Übertrageranpassung erforderlich. Vom Unterbau, sprich Beschaltung, ganz zu schweigen, denn so einfach ist es mit diesen Röhren nun auch wieder nicht. Was bei Gitarrenverstärker noch funktionieren mag, ist im HiFi-Bereich tabu (Stichwort: Soundmaschine).
Zur Soundmaschine mutiert ein Verstärker auch dann, wenn statt der vorgesehenen ECC83 (12AX7) eine 6N2 eingesetzt wird. Das ist derzeit der absolute Hit bei der Musikerfraktion. Das man damit die Parameter der Verstärkerstufe bzw. des gesamten Verstärkers ändert, wird elegant verschwiegen. Mit weitaus geringeren Mitteln (monetärer Art) liesse sich ein ähnlicher Effekt zustande bringen, nämlich die der höheren Verstärkung.
Vor Jahren war es total angesagt, bei einem billigen EL34-Röhrenverstärker die EL34 durch KT77 zu ersetzen – ohne jedoch am Unterbau etwas zu ändern. Einhellig waren die Berichte, dass der Verstärker nun „besser“, „dynamischer“, „luftiger“ klang. Eigentlich kein Wunder, denn die KT77 ist von den Parametern her der EL34 „nur“ ähnlich was Betriebsspannung, Ruhestrom und Heizstrom betrifft. In allen anderen Dingen gibt es z.T. grosse Unterschiede. Der wesentliche Unterschied aber ist: Die EL34 ist eine Pentode, die KT77 eine Kinkless Tetrode. Es wäre wesentlich sinniger gewesen, wenn man am Unterbau etwas geändert hätte…
Doch warum überhaupt eine EL34 (als Röhrentyp) tauschen? Mit dieser Röhre hat man einen Glaskolben, der sehr gut funktioniert und äusserst zuverlässig arbeitet. Was als KW-Sender zu gebrauchen ist, kann für HiFi doch nicht schlecht sein, oder? Man sieht das doch auch bei anderen Röhren: Auch eine 845 ist eigentlich eine HF-Röhre.
Also, um es kurz zu machen: Ein Röhrentausch EL34 durch KT88 ist nicht (so einfach) möglich, will man nicht den halben Verstärker umbauen. Auch der umgekehrte Fall (KT88 durch EL34) dürfte nicht viel Freude bringen, weil die Betriebsspannung ganz einfach zu hoch ist.
Innerhalb der gleichen Röhren-Klasse kann es zu klanglichen Unterschieden kommen. Diese treten aber nicht mit brachialer Gewalt zu Tage, sondern wirken eher „subtil“. Dasselbe gilt auch für einen Röhrentausch desselben Typs aber von unterschiedlichen Herstellern (z.B. EL34/KT88 von JJ gegen EL34/KT88 von Electro Harmonix). Voraussetzung hierfür ist aber immer eine optimale Arbeitspunktanpassung. Wer einfach verschiedene EL34 oder KT88 oder 6550 ausprobiert, ohne zumindest den Ruhestrom anzupassen, der disqualifiziert sich oder ist auf Voodoo-Getöse hereingefallen. Nicht zuletzt benötigen alle Röhren eine gewisse Einspielzeit. Je nach Anzahl der Betriebsstunden bildet sich erst dann der Röhrenklang heraus. Das ist übrigens fast immer ein „Problem“ bei den Musikern, die den neuen Röhrensatz klanglich einfach rundweg ablehnen: „Verstärker kaputt! Vorher klang es viel besser…“, ist ein akutes Warnsignal. Die Erklärung, dass die Röhren kaum noch zu einer Emmission fähig waren, kann man sich sparen. (Ähnliches kann auch passieren, wenn man einen durchgeschlagenen Kondensator ersetzt und noch schlimmer wird es, wenn man einen alterschwachen Carbon-Composit Widerstand ersetzen muss. Das nur nebenbei.)
Und um nun die Ketzerei endgültig auf die Spitze zu treiben: In einer überaus exakten Schaltungsumgebung und unter exakt gleichen Hörbedingungen ist es nahezu unmöglich herauszuhören, ob eine 300B oder 2A3 ihr Werk verrichtet. Etwas anderes ist es bei einem Vergleich von KT88 (Kinkless Tetrode) zu EL34 (Pentode) oder zur 300B (Triode).
So, und nun muss ich mich von der Ketzerei verabschieden (ich hatte es ja schon angedeutet)!
Es gibt natürlich so etwas wie „Röhrenklang“. Und es kann durchaus lohnend sein, eine Röhrentype verschiedener Hersteller auszuprobieren. Nur – man vergewissere sich, dass die Röhrentypen auch wirklich „gleich“ sind. Und was für Leistungsendröhren gilt, gilt sinngemäss auch für Vorstufenröhren.
Wenn man sich nun partout auf eine Röhrentausch-Orgie einlassen will, dann sollte man vorher das Bankkonto prüfen und dann Datenblätter studieren. Eine EL34 ist eine EL34. Und eine KT88 ist eine KT88. Wenn sich die Daten einer Vodoo-KT88 von den Original-Daten unterscheidet, dann ist es eben keine KT88 mehr. Besonders fernöstliche Röhrenhersteller sind diesbezüglich sehr erfinderisch…