Ich erlebe es immer wieder, dass Besitzer von Röhrenverstärker nicht wissen (wollen), dass dieser über eine Einstellmöglichkeit des Ruhestroms verfügt. Auch wenn man mit Elektronik nichts am Hut hat („Volt? Ampere? Watt is dat?»), so ist es nur von Vorteil, wenn man etwas mit Ruhestrom (BIAS) anzufangen weiss!
Besonders dann, wenn man vom „Röhrentausch-Virus» (das Thema hier sind ja Röhrenverstärker) infiziert wurde. Dabei steht und fällt die ganze HiFi-Geschichte mit den Ruheströmen. Wenn die nicht stimmen, braucht man mit „entkoppelten Kabeln» gar nicht erst anfangen.
18.07.2014 Ich schiebe hier mal ein update hinein: Wenn Sie den Röhrenverstärker nicht selber abgleichen können oder wollen, dann gehen Sie bitte zu jemanden hin, der das für Sie erledigt. Fragen Sie ihn aber, was er dafür haben will. 100 Euro und mehr halte ich persönlich – nur für den Abgleich – für gnadenlos übertrieben.
Nun wäre es ja ein leichtes, einfach zu sagen, „Dort klemmt man Messstrippen an und hier und da muss man dran drehen bis der Wert xy auf dem Display erscheint…». Ganz so trivial ist das nun auch wieder nicht, besonders nicht für diejenigen, die mit Elektronik nichts am Hut haben und selbst für einen Glühlampenwechsel den Elektriker rufen.
Also Ruhestrom. Oder eben BIAS. Das ist, kurz und knapp, der Strom, der auch dann fliesst, wenn die Röhre „nichts tut». Prinzipiell vergleichbar mit der Leerlaufdrehzahl eines PKW-Motors! Die Ruhestrom-Einstellung bestimmt den Arbeitspunkt der Röhre und damit auch Leistung und Verzerrungen (je mehr Leistung, desto grösser die Verzerrungen). Wenn von Ruhestrom und Röhrenverstärker die Rede ist, meint man meist den Ruhestrom (BIAS) der Endröhre(n). Um beim Motor zu bleiben: Nur mit der richtigen Leerlaufdrehzahl stimmt die Grundeinstellung, stimmen Leistung und Spritverbrauch.
Um die Sache mit dem Ruhestrom noch besser zu verstehen, müssen wir etwas ausholen.
Röhrenverstärker ABC: Betriebsarten
Es gibt in der Röhrenverstärkertechnik grundsätzlich nur zwei Arten von Verstärker: der klassische Eintaktverstärker (Single-Ended) und der Gegentaktverstärker (Push-Pull).
Der Eintaktverstärker ist dabei die ursprüngliche Röhrenverstärkertechnik. Kennzeichnend hier ist, dass eine Endröhre (oder mehrere parallel geschaltete Röhren) das Signal verstärken.
Gegentaktverstärker bestehen aus mindestens zwei Endröhren (finden sich mehrere Röhren, sind diese entsprechend parallel geschaltet). Das Signal muss aufgesplittet, d.h. in eine positive und eine negative Halbwelle getrennt werden (Phasenumkehrstufe, Phasesplitter). Die „halbierten» Signale werden dann zu der jeweiligen Endröhre geführt. Im Übertrager werden diese Signale dann wieder „zusammengesetzt».
Class-A
Single-Ended (Eintakt) und einige wenige Push-Pull (Gegentakt) Verstärker kennen (salopp ausgedrückt) nur eine „Ruhephase», nämlich dann, wenn er ausgeschaltet ist. Ansonsten läuft der Verstärker nahezu unter Volllast (das freut den Energieversorger). Egal ob Sie Musik hören, oder nicht.
Trotzdem muss die Endröhre mit einem bestimmten Ruhestrom arbeiten, damit diese innerhalb einer bestimmten Spezifikation arbeitet. Der Ruhestrom wird dabei meist von einem „dicken» Festwiderstand bestimmt.
In einer 300B-Schaltung beispielsweise ist das meist ein 880Ω bis 1kΩ-Widerstand mit einer Belastbarkeit von 25 bis 50 Watt (!). Vorausgesetzt der Widerstand ist korrekt berechnet, bringt sich dann die Röhre selber im richtigen Arbeitspunkt (Fachbegriff: Self-BIAS).
Ein grosser Nachteil dieser Schaltungsart ist, dass man sehr viel Energie hineinstecken muss und das ein Grossteil der zugeführten Energie in Wärme umgewandelt wird. Da die Röhre ja ein Verschleissbauteil ist, versorgt sich die Röhre irgendwann selber mit einem falschen Ruhestrom und bringt sich damit dann in den falschen Arbeitspunkt.
Nur der Vollständigkeit halber: Nicht jeder Eintaktverstärker arbeitet im Self-BIAS Modus. Es gibt auch Eintakter, die über eine manuelle Ruhestrom-Regelung verfügen.
Class-AB, Class-B
Die AB-Betriebsart ist ein Kompromiss zwischen reinem Class-A (Klang) und Class-B (Effizienz) Betriebsmodus. Viele Push-Pull (Gegentakt) Verstärker „laufen» meist in Class-AB. Das heisst, im unteren Leistungsbereich als Class-A und, je mehr Leistung gefordert wird, von AB zu Class-B wechselnd. Die Energie, die so ein Röhrenverstärker aus der Steckdose zieht, ist abhängig von der Leistung, die von ihm verlangt wird.
Im HiFi-Bereich ist ein Class-B Modus, aufgrund der Klirranteile und Verzerrungen, nicht erwünscht und man versucht, den A- bzw. AB-Bereich soweit wie nur möglich „nach oben» zu verlagern. Die mindestens für den Gegentaktbetrieb notwendigen zwei Röhren werden mit Hilfe eines einstellbaren Widerstands (Trimmer) im gleichen Arbeitspunkt gebracht – oder besser ausgedrückt: in den Arbeitspunkt gezwungen (Fachbegriff: Fixed-BIAS). Bedingt durch Alterung kann man den Verschleiss, im gwissen Rahmen, ausgleichen.
Die Schaltung von AB- und B-Verstärker unterscheiden sich kaum. Die Höhe des Ruhestroms und der Versorgungsspannung ist hier entscheidend. Übrigens: Eine Abwandlung der AB-Verstärkertechnik ist die sogenannte Ultralinear-Schaltung (auch als AB1 bezeichnet). Diese gibt es nur bei Tetroden bzw. Pentoden.
Zur weiteren Verminderung von Verzerrungen und Klirranteilen werden die Schirmgitter der Pentoden nicht direkt an die Versorgungsspannung angeschlossen (Pentoden- bzw. Tetrodenmodus) sondern an entsprechende Übertrageranzapfungen. Aus technischer Sicht handelt es sich hier um eine besondere Form der lokalen Gegenkopplung.
Ein Nachteil bei den Gegentaktern ist die Gefahr von Übernahmeverzerrung. Dies umso mehr, je mehr sich der Verstärker dem Class-B Betriebsmodus nähert und gleichzeitig die Röhren mit zuwenig Ruhestrom gefahren werden. Der Effekt ist dann, dass hier eine Röhre vom Röhrenpaar zu früh in die „Ruhephase» geschickt wird, während die andere Röhre sich noch nicht einmal in der „Aufwachphase» befindet.
Mit diesem Hintergrundwissen kommen wir (endlich) zum Kernthema.
Ruhestrom einstellen in der Praxis
Das, was hier nun beschrieben wird, ist der einfache, statische Ruhestromabgleich. Neben einem kleinen Schraubendreher benötigen wir ein (preiswertes Baumarkt-) Multimeter (besser zwei) und etwas Zeit.
1. Vorbereitung ohne das Chassis öffnen zu müssen:
Das Chassis als Minuspol zu nehmen taugt nur dann etwas, wenn man sich sicher ist, dass das Chassis neben Erdung auch an der Schaltungsmasse angeschlossen ist.
Hat man keine Möglichkeit, den Ruhestrom „von aussen» einzustellen, dann muss man „in die Schaltung hinein». Spätestens dann wirds für Laien gefährlich! Wer nicht weiss, was er da tun will, der lässt die Finger von solchen Unternehmungen: Die gesamte Schaltung steht unter Spannung – hier und da „tummeln» sich 400 Volt und mehr. Die Anschaffung eines speziellen Röhren-Messadapters ist dann überdenkenswert.
Die Spannung, die für die „Generierung des Ruhestrom» nötig ist, ist übrigens immer negativ (deshalb Fachbegriff: [negative] Vorspannung) und liegt am Steuergitter an (also genau an dem Gitter, wo auch das Signal eingespeist wird), da das Steuergitter der Röhre gegenüber der Kathode immer negativer zu sein hat. Wird das Steuergitter zu positiv (gegenüber der Kathode) übernimmt es die Aufgabe der Anode, es fliesst Gitterstrom und damit ist die Röhre defekt (das geht ganz fix). Wird das Steuergitter zu negativ, sperrt die Röhre.
Das, was wir messen, ist allerdings nicht diese negative Spannung sondern der Spannungsabfall am Kathodenwiderstand. Dieser beträgt meist 10 Ohm (Ω). Ganz selten ist dieser Widerstand grösser, wie z.B. bei den Röhren EL84 oder 6AS7G. In Gitarrenverstärkern werden oftmals nur 1Ω-Widerstände eingesetzt. Manchmal fehlt dieser auch ganz.
Schaltungstechnisch liegt der Kathodenwiderstand mit dem einen Ende an Masse und mit dem anderen Ende eben direkt an der Kathode der Röhre. Für die Röhre selber ist so ein „kleiner» Widerstand eigentlich gar nicht vorhanden. Seine „Daseinsberechtigung» ist zum einen, dass man bequem den Ruhestrom ermitteln kann, zum anderen soll der Widerstand durchbrennen, wenn die Röhre Amok läuft.