Treiberstufe & Bypass-Kondensator

Treiberstufe. Der Schaltungsteil in einem Röhrenverstärker, in dem die meisten Sauereien passieren. Dabei ist eine gute Treiberstufe keine Raketenwissenschaft. Man muss nur dafür sorgen, dass ausreichend verstärkt wird. Nichts weiter. Nur ausreichend.

Also, ohne die Röhren zu quälen, oder dass die sich langweilen. Langweilen sich die Röhren, machen sie oft auch Blödsinn (u.a. „sterben» sie auch schneller) und es sind weitere (eigentlich überflüssige) Verstärkerstufen erforderlich. Arbeitet aber so eine Treiberröhre à point, dann bleibt das NF-Signal auch sauber. Denn alles, was in einer Treiberstufe versaubeutelt wird, ist nicht wieder gutzumachen.

Hilfreich bei der „richtigen» Verstärkung ist ein Bypass-Kondensator. Also eine Kapazität die dem Kathodenwiderstand parallel geschaltet ist. Das hebt das Signal locker um drei, vier Dezibel an. Ein Bypass-Kondensator „wirkt» aber nicht nur „verstärkend», er beeinflusst auch maßgeblich die untere Grenzfrequenz der betreffenden Schaltung und letztendlich des gesamten Verstärkers.

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Hinweis: Anders als im englischsprachigen Raum, wird im Deutschen so ein Bypass-Kondensator auch als Kathoden-Kondensator bezeichnet, wohl um eine Verwechslung mit parallel geschalteten Kapazitäten zu vermeiden.

Die „besondere» Treiberstufe

Zunächst diese Schaltbild-Skizze. Zumindest wie es wohl mal angedacht war.

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Das Bild zeigt einen dreistufigen Treiber für einen Single-Ended Verstärker. Die Endröhre spielt hier für dieses Thema (zunächst) keine Geige.

Notgedrungen musste diese Schaltung herausgefuddelt werden, weil sich, trotz des Alters des Verstärkers (10 Jahre?), keine technischen Informationen im Netz finden liess. Ausser die obligatorischen Lobhuddeleien.

Mit Treiberstufen hat man es ja immer schon doll getrieben. Aber das hier ist momentan mein persönliches Highlight. Zur Enttäuschung aller: Kein „Asia-Verstärker» (das machen selbst die nicht)…

Kurze Erklärung

Prinzipiell sind zwei verschiedene Treiberstufen hintereinandergeschaltet, wobei jede Treiberstufe für sich schon ausgereicht hätte, die Endröhre in Class-A anzutreiben. Eine richtige Beschaltung natürlich vorausgesetzt.

In diesem Röhrenverstärker wird jedoch Class-A1 (also mit Ruhestromregelung) verwendet. Der Treiber muss also nicht die ganze Kraft alleine aufwenden, um der Endröhre in’s Gitter zu treten.

Die verwendeten Röhren sind alles Doppeltrioden mit einem mittleren Verstärkungsfaktor (µ).

Die 1. Treiberstufe

Die erste Hälfte dieser Treiberstufe verstärkt nur etwa 9-fach. Als weitere Aufgabe soll sie der Gesamtschaltung wohl die sagenumworbene „röhrentechnische Klangwürze» beimixen. Die Beschaltung der zweiten Hälfte ist identisch. Und jetzt kommt’s…

Man schaue sich den Bypass-Kondensator an der Kathode der zweiten Hälfte dieser Treiberstufe an.

Lutsch‘ mich rund und nenn‘ mich Bärbel: Der ist da wirklich genauso drin. Da denkt man an nix Gutes und vor allem an nix Böses und dann das…

Ein Bypass-Kondensator sollte theoretisch die Verstärkung hier auf etwa das 15-fache anheben. Wie gesagt: Theoretisch. Nur mit dieser Kapazität (0,027µF = 27nF) nicht linear, also für alle Frequenzen (besonders 20Hz bis 20kHz) gleich. Denn da fehlen nämlich ein paar „Mü-Eff» (oder ganz viele „Nanos»).

Die grobe Kelle (Faustformel nach Otto Diciol) für einen Bypass-Kondensator in Röhrenverstärker:

Ein Zehntel vom Widerstandswert (in Ohm) als Kapazität (in µF)

.

Für HiFi-Verstärker. In Gitarrenverstärkern gelten andere Gesetze, aber selbst da wäre das falsch und würde dafür sorgen, dass der Verstärker zum „besten Ladenhüter ever» avanciert. Und für HiFi-Anwendung ist so etwas (das schreit geradezu nach einem Superlativ) am falschesten.

Warum das? Weil der Bypass-Kondensator ein Klasse-Hochpassfilter darstellt. Alles, was unterhalb der Grenzfrequenz liegt, wird abgeschwächt. Alles oberhalb davon kann ungehindert durch…

Konkret heisst das hier: Alles unter etwa 1kHz (untere Grenzfrequenz) wird noch nicht einmal 9-fach verstärkt. Erst ab etwa 1kHz steigt die Verstärkung an, bis bei über 10kHz tatsächlich das (theoretisch) 15-fache erreicht wird.

Das Ergebnis: Viel „Klingelingeling» und wenig „Bumm-Bumm».

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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