Watt Ihr Volt

Jahrzehntelang hat man uns eingebläut, dass man bei der Wattjagd – ähm – Verstärkerkauf auf die Angabe „Sinusleistung“ achten soll und das „Musikleistung“ oder gar „Impulsleistung“ (PMPO) eher Phantasiewerte sind. Von Verstärkern, bei denen die Sinus-Angabe gänzlich fehlte, sollte man die Finger lassen. Heute? Gehen Sie mal in einem Elektronikmarkt und suchen Sie mal Sinus-Watt. Viel Glück!

Und doch ist es da…

Irgendwie war die Sinusleistung ein Wert mit dem auch ein Laie etwas anfangen konnte. Das Sinus-Messverfahren war festgelegt (standadisiert) und von daher vergleichbar zur Leistungsbeurteilung (denn nichts anderes ist diese Angabe).

Der ewige Kritikpunkt: Sinus-Watt ist nicht realistisch.

Sinus-Watt

Kennzeichnend für dieses Messverfahren war, dass die Hersteller immer den Lastwiderstand (genauer: die Impedanz eines Lautsprechers) angeben mussten, also z.B. 25 Watt an 8 Ohm, 50 Watt an 4 Ohm. Manche Hersteller gaben dann noch die Sinusfrequenz an, mit dem gemessen wurde (obwohl überflüssig, da dieses Messverfahren die Frequenz von 1kHz vorschrieb).

Was nicht gesagt wurde: Der Verstärker musste die Mess-Leistung „nur“ 10 Minuten verzerrungsarm (etwa 1%) wiedergeben. Anders ausgedrückt: etwa 60 bis 70 Prozent der möglichen Maximalleistung. Oder nach Messeinheit „optische Lautstärkereglerposition“: etwa 1 bis 2 Uhr.

Was „Maximalleistung“ nun wieder war, liess sich nur berechnen (oder grob abschätzen).

Einige wenige Hersteller brachten noch die „Nennleistung“ ins Spiel. Aus den 50 Watt Sinus an 4 Ohm wurden dann zB. „magere“ 35 Watt Nennleistung. Für die Watt-geile Kundschaft nicht besonders attraktiv…

Weitere Voraussetzung: Bei einem Stereoverstärker müssen beide Kanäle angesteuert werden, damit das Netzteil richtig belastet wird. Wird hingegen nur ein Verstärkerkanal angesteuert, führt dies bereits zu „schöngefärbten“ Ergebnissen.

Wie auch immer. Da das Messverfahren vorgeschrieben war und sich nahezu jeder Hersteller daran hielt (halten musste), war die Ausgangsleistung eines Verstärkers vergleichbar. Man „schönte“ zwar noch etwas mit der Musikleistung (als zusätzliche Angabe), das war’s aber auch schon. Irgendwo tauchte immer der Sinus auf.

Bye bye, Sinus?

Bis Irgendwer, irgendwann, auf die glorreiche Idee verfiel, die bewährte (deutsche) Sinus-Angabe für nicht mehr zeitgemäß (oder gar realistisch) zu erklären. Und damit kam das Chaos…

Genau das gleiche Spielchen gab es ja auch mit RCA-Verbindungen (Cinch) und die technisch deutlich überlegenen DIN-Steckverbinder.

RMS-Watt

RMS (Root Mean Square) kann man nicht so einfach – vor allem kurz und knackig – ins Deutsche übersetzen. Versuchen wir es mal: „Quadratischer Mittelwert (einer veränderlichen Grösse)“. Alles klar?

Man kann es einfach auch als Durchschnittswert bezeichnen. Denn nichts anderes ist das nämlich. Zunächst. Das gesamte Messverfahren an sich ist dabei sehr aufwändig. Aber…

… RMS ist nämlich nicht gleich RMS. Es muss zwischen dem Messverfahren bei einem Lautsprecher und dem Verfahren bei Verstärkern unterschieden werden.

Ursprünglich kommt das RMS-Messverfahren aus dem Lautsprecherbereich. Hier bekommt der Lautsprecher eine Geräuschkulisse welches das Audio-Frequenzspektrum „wirklichkeitsgetreu“ abbilden soll, vorgesetzt (rosa Rauschen – das nennt sich tatsächlich so).

Die angeschlossenen Messgeräte ermitteln dann daraus, wie hoch der Lautsprecher belastet werden darf / kann. Dieser Wert ist immer in RMS angegeben – also als effektive Leistung! Das Sinus-Messverfahren ist für Lautsprecher nicht geeignet.

Nun könnte man ja annehmen (und es wird auch vielfach genauso erklärt), dass man das Messverfahren aus dem Lautsprecherbau direkt auf den Verstärker anwendet. Und genau das ist falsch! Das Lautsprecher-Messverfahren kann so nicht als seriöse Leistungsbeurteilung von Verstärkern eingesetzt werden – ist z.T. sogar völlig unbrauchbar.

Wie nun genau das RMS-Messverfahren bei Verstärkern aussieht, weiss ich auch nicht. Trotz intensiver Recherche konnte ich darauf keine (genaue) Antwort finden – dafür habe ich jede Menge Ansätze gefunden, wie man das Watt „schönrechnen“ kann.

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen.Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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