Ahnenforschung 300B: WE-91

300A? 300B? Ja Watt denn nun?

Die 300B ist eine 300A. Der Unterschied ist simpel: Gegenüber der 300A ist der Röhrensockel um 45° gedreht. In der Fertigung (typisch Western Electric) sparte man dadurch ein paar Zentimeter Kabel. Ausserdem konnte sie auch problemlos als Ersatz für die 205A dienen. Die 300 A/B hat eigentlich keinen Vorläufertyp. Sie geht glatt als eigenständige Neuentwicklung durch. Wenn Sie ein Datenblatt für die WE 300B suchen, dann werden Sie garantiert bei 300A fündig.

Zurück zum „Gesamtkunstwerk“ WE-91:
Also, wie man sieht, ist der ursprüngliche Verstärker vorne mit zwei Pentoden ausgestattet gewesen. In der „modernen“ Fassung ist die erste Verstärkerstufe komplett weggefallen, doch gerade hier war echtes Know-How in Sachen „Klang“ und vor allem Brummunterdrückung zu finden! Die zweite Stufe (also die, die wir heute nutzen) ist eigentlich nur ein Treiber. Bedenken Sie, das die damaligen Signalquellen nur wenige Millivolt lieferten. Eine hohe Vor-Verstärkung war deshalb Pflicht. Heute liefern übliche Signalquellen eine Spannung, die den Treiber (also die zweite Röhre) direkt ansteuern können.

Für die Pentoden setzte man zunächst die 6C6 ein. Später wurde diese durch die hauseigene 310A ersetzt. Deshalb habe ich diesen Plan genommen, da hier noch die 6C6 genannt wird. In späteren Plänen findet sich kein Hinweis mehr auf diese Röhrentype! Warum man es nicht bei der 6C6 beliess, darüber darf man spekulieren. Maßgeblich dürfte da die Firmenphilosophie gewesen sein, wonach selbst die kleinste Schraube das „Western Electric“-Signet zu tragen hatte, eine Art „Qualitätssiegel“. Man gestaltete daher die 6C6 etwas um und heraus kam eben die WE-310A (machte man auch bei anderen Röhrentypen). Bis auf die Heizung sind 6C6 und WE-310A fast identisch (Warum nun die 6C6 als „legitimer Ersatz“ der 310A bezeichnet wird, ist deshalb nicht nachvollziehbar). Nebenbei bemerkt: Die alten „Western Electric Regeln“ (Western Electric Rules) werden noch heute im Qualitäts Management (Controlling) angewendet.
Das „Six Sigma Gedöns“ gäbe es ohne Western Electric überhaupt nicht.

Zu den damaligen Lautsprechern an sich: Hier muss gesagt werden, dass diese (vor allem die Lautsprecher) „etwas“ anders funktionierten als das, was man sich heute üblicherweise zuhause hinstellt.

WE-91 Lautsprecher mit „integrierter Siebdrossel“

fehlende-drossel Betrachtet man sich die Ur-Schaltung einmal genauer, dann fällt auf, dass augenscheinlich gar keine Siebdrossel verwendet wird. Um das leidige Brummen im Griff zu bekommen, wäre diese aber zwingend notwendig gewesen. Also täuscht der Original-Schaltplan da etwas. Die „Drossel“ war sehr wohl vorhanden und hängt ganz wesentlich mit der damaligen Funktionsweise der Lautsprecher zusammen. Beachten Sie bei dem O-Schaltplan die Anschlüsse „Monitor Shield“ bei der 300B oben rechts. Verfolgen Sie einfach die positive Spannungsleitung vom Röhrengleichrichter aus und sie werden feststellen, dass da plötzlich etwas fehlt…

Anstatt, wie in der „Neuzeit“ üblich, einen leistungsfähigen grossen Dauermagneten an den Lautsprechern anzubringen (das gabs damals auch noch nicht), waren die damaligen Lautsprecher mit einer zusätzlichen Magnetisierspule (Field Coil oder zu deutsch „Erregerspule“) ausgestattet. Dementsprechend wurden die Lautsprecher als „Field Coil Loudspeaker“ bezeichnet. Diese zusätzliche Spule benötigt aber für ihre „Erreger-Funktion“ einen zusätzlichen Stromkreis. Das wiederum war mit zusätzlichen Kosten verbunden. Irgendwann kam man auf die Idee, diese Spule der Einfachheithalber einfach im Stromkreis des Verstärkers einzuschleifen. So übernahmen diese Spule (mehr schlecht als recht) auch die Funktion einer Siebdrossel. Jeder Techniker wusste, dass das nur ein (im wahrsten Sinne des Wortes) billiger Trick war – aber es war damals so üblich. Nicht nur bei Western Electric. Man fand so etwas auch in sehr vielen (deutschen) Röhrenradios!

Die Wirkung der Erregerspule glich eher einem Siebwiderstand. Die Siebwirkung war daher bescheiden – aber besser als nichts. Wenn wir heute eine Drossel von 5H (oder mehr) einsetzen, dann darf man sicher sein, dass die Techniker von damals das auch gerne eingesetzt hätten aber aus Kostengründen nicht durften! Zum Vergleich: Eine heute übliche 5H-Siebdrossel für diesen Verstärker weist einen Gleichstromwiderstand von von nicht einmal 100Ω auf. Der Widerstand damaliger Erregerspulen dagegen lag im Bereich von 1kΩ bis 4kΩ. Aus diesem Grund müssen wir heute beim Nachbau die Versorgungsspannung etwas niedriger ansetzen als damals.

Solche Lautsprecher („Elektrodynamische Lautsprecher“) wurden auch völlig „autark“ betrieben – also mit separatem Netzteil. Da wo sich heute der Magnetklotz befindet, wurde das separate Netzteil (mit Röhrengleichrichter natürlich) installiert.

Der Vollständigkeit halber: Um das leidige Brumm im Griff zu bekommen, gab es auch Lautsprecher, die noch eine dritte Spule aufwiesen – das sogenannte „Hum Bucking Coil“. Diese „Brumm“-Spule war dabei exakt auf die Brummfrequenz abgestimmt. Grosser Nachteil: Es war ein zu teueres Verfahren und zudem recht unflexibel.

we-91_mirrorphonic Setzt man aber die Erregerspule als Drosselersatz ein, werden lange Zuleitungen aber unmöglich. Die WE-91 Verstärker waren deshalb quasi als „aktiver Lautsprecher“ gestaltet (also Lautsprecherbox mit integriertem Verstärker) und zwar als Monitorsystem für kleinere PA-Anwendungen. Nix mit HiFi. Eine zusätzliche Anzapfung am Übertrager versorgte dann die „Stage-Speaker“. Der WE-Jargon bezeichnete solche PA-Anlagen als „Mirrorphonic“ (eine andere Linie war das „Vitaphone“).

Ein Merkmal der Western Electric Verstärkereinheiten: Sie waren immer modular aufgebaut. So konnte man die PA-Anlage individuell zusammenstellen. Hier im Bild allerdings eine eher ungewöhnliche „Techniker-Version“: Unten der eigentliche WE-91 Verstärker, darüber das separate Netzteil (!) für die Erregerspule des Lautsprechers und darüber eben der eigentliche Lautsprecher. Der ganze Schrank war Teil eines 500A-Systems.

Wenn man genau hinschaut, befindet sich am unteren linken Lautsprecherrand noch etwas „Röhriges“. Das ist die „Ballaströhre“ (prinzipiell eine Glühbirne), die den Widerstand der Erregerspule ersetzt (bzw als „Drosselersatz“ diente) und gleichzeitig als Sicherung fungierte.

Übliche „PA-Schränke“ beinhalteten aber anstatt des separaten Lautsprecher-Netzteils einen Radioempfänger nebst Schallplattenspieler (auf einer ausziehbaren Lade montiert).

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen.Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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