300B-Röhren

Was Ihr wollt…

Präludium
Als seit einiger Zeit „(Single-Ended-) triodeninfizierter» Musikfreund habe ich sehr bald feststellen dürfen (eigentlich: müssen), dass dieselbe Endstufe mit verschiedenen Röhrenbestückungen völlig unterschiedlich klingen kann. Das bietet reichlich Lust- aber auch Frustpotential für endlose Stunden. Daher kam ich auf die Idee, einmal die typischen Klangcharakteristika einiger derzeit noch erhältlicher 300B-Varianten zu beschreiben. Nicht alle dieser Typen stammen aus neuer Produktion, aber alle sind noch zu bekommen, auch wenn z.B. eine Vaic VV30B nur mehr selten offeriert wird.

we-300b

Dank der Kooperation mehrerer Vertriebe und eines Röhrenspezialisten (Rainer Röder aus Bonn, bei dem Sie alle nicht aus neuer Produktion erhältlichen Röhren bekommen können) wurde dieses Unterfangen nun möglich. Ich habe dabei versucht, mich auf die relativ eindeutig identifizierbaren Charakteristika der jeweiligen 300B zu konzentrieren. Deshalb wurde meinerseits auch mit drei verschiedenen Endstufen (eigentlich vier, da eine meiner Endstufen für 300B-Derivate mit einem Heizstrom-Bedarf von 1,5 bis 1,6 A optimiert ist) gehört: Meinen Golden Tube SE 300B II Special Edition, den L’Audiophile „Legend» 300B-Monoblöcken sowie den Song Audio 300B-Monos aus Kanada. Alle drei weisen eine eigenständige, von den jeweils anderen Endstufen abweichende Schaltungstopologie auf. Bei den beiden letztgenannten wurde auf mögliche „Optimierungen» im Form des Austauschs z.B. der Gleichrichterröhre verzichtet. Dies habe ich nur bei der Golden Tube ausprobiert – da ich zum einen die meiste „Hörarbeit» damit verrichtet habe (…das Leben eines Redakteurs kann verdammt hart sein, glauben Sie mir…) und zum anderen die Empfindsamkeit dieser Endstufe diesbezüglich inzwischen am besten kenne. Die benötigten Alternativen hatte ich zudem zur Hand – zwar nicht alle, aber doch einige.

Wer den enormen Einfluss der Kombination der der 300B vorgeschalteten Röhren kennt, weiss, dass ich sonst auch frühestens in drei bis fünf Jahren fertiggeworden wäre…. Insbesondere die spezielle Schaltung der Golden Tube, die eine EL34 zur Stabilisierung der Ansteuerung der 300B nutzt, ist da diffizil. Immerhin erleichterte mir die Tatsache, dass schnell klar war, dass hier alle 300B’s gleichrichterseitig vom Einsatz einer GZ34 anstelle einer 5U4(GB) oder 5Y3 profitierten, ein wenig die Arbeit. Doch seien Sie gewarnt: Meine Aussage gilt so ausschliesslich für diese Endstufe – bei anderen Konzepten kann das durchaus anders aussehen! Daher werde ich nicht jedesmal die verwendete Röhrenkombination aufführen, sondern möchte nur darauf verweisen, welche Typen/Exemplare zum Einsatz kamen: Gleichrichter: GZ34 (Mullard/Valvo/Philips Miniwatt); als Eingangsröhren JAN Philips 5691, Brimar 6SL7GT, Tungsol JAN-CTL-6SL7WGT, CV1985, General Electric 6SL7GT, Sylvania, RCA und Ken-Rad VT229 sowie russische 6H7C; und zur Ansteuerung der 300B die EL34-Versionen von Telefunken, Siemens, AEG – plus als Alternative die Bendix JAN-CEA-5992.

Alle 300B wurden zunächst für ca. 200 Stunden „eingebrannt» und sodann mit Musikmaterial verschiedenster Art gehört. Der Ruhestrom wurde dabei jeweils mittels geeichter (Analogskalen-) Instrumente eingestellt und kontrolliert, damit die 300B’s stets im richtigen Arbeitsbereich liefen.

Interludium
Es wurden zwei verschiedene Gruppen von 300B unter die akustische Lupe genommen: Zum einen Röhren, die der klassischen WE 300B-Spezifikation entsprechen, zum anderen solche, die einen Strom von 1,5 bis 1,6 A bevorzugen. Letztere sind leistungsstärker, aber nicht in allen 300B-Verstärkern ohne weiteres einsetzbar. Erkundigen Sie sich bitte bei dem Hersteller Ihres Verstärkers, ob solche Röhren ohne Modifikationen desselben verwendet werden können – oder ob dies ggf. einen Umbau durch den Fachmann erfordert. Sollten Sie solche Informationen nicht bekommen, so bleiben Sie am besten bei den Varianten der „klassischen» 1,2A-300B. Es sei denn, Ihre Endstufe wäre von vornherein für die 300B-plus-Versionen ausgelegt. Nicht berücksichtigt wurden dagegen die Ultra-300B’s verschiedener Hersteller, die 2,0 bis 2,2 Ampere Heizstrom erfordern. Da mir keine dementsprechende Endstufe zur Verfügung steht, müssen diese Varianten leider aussen vor bleiben, obgleich es einige interessante Vertreter auch dieser Art gibt.

(Erst-)Klassisches: 300B classic (1,2A-Fraktion)

300B von JJ

300b-jj Schon mal voraus gesagt: Die JJ 300B ist eine gute Röhre für alle Lebenslagen. Optik und Glasverarbeitung sind in ihrer Art typisch für die tschechischen bzw. in diesem Fall slowakischen Röhren der Gegenwart (mit weissem Keramiksockel und dickem Glas). Wenn es etwas zu bekritteln gibt, sind es die minimal verhangenen Höhen; die eher ein wenig „zurückhaltende» Präsentation resultiert in einem etwas zu grobkörnigen Bild. Es ergibt sich aber im Gesamteindruck ein guter Raum mit entspannter, lockerer Basswiedergabe und gutem Fokus bei Stimmwiedergabe. So beispielsweise beim unverkennbaren Sting (Fields Of Gold – The Best Of 1984-1994, A&M Records 5402862). Ob nun bei „If You Love Somebody Set Them Free» oder „Fragile» – immer ist der frühere Police-Frontmann genau auszumachen. Es macht Spass, dem musikalischen Fluss zuzuhören, der da so beschwingt strömt. Ansonsten wirken in meinem Setup Stimmen leicht unsauberer bei Sibillanten (bei anderen Endstufen mag sich das anders darstellen) als ich mir das wünschen würde, sonst neigt die JJ zu einer stimmig-runden Präsentation, ohne dabei den Klang irgendwie aufzuweichen. Zudem ist eine Mikrofonieneigung nicht gänzlich abzuleugnen. Einige Exemplare weisen eine recht deutliche „Klingelneigung» auf, andere so gut wie gar keine. Gut in allen Bereichen, aber nicht überragend – so meine abschliessenden Notizen auf dem Zettel.

300B VAIC

vaic-300b Die Vaic VV300B (neuere Produktion von 2001, schwarzer Sockel) erwiesen sich als sehr sauber durchzeichnende Exemplare ihrer Art. Ein präziser, kontrollierter Bass paart sich mit hervorragender Auflösung im Hochton. Daraus in Kombination mit einem nahtlos sich einpassenden Mittenbereich resultiert eine sehr schöne Stimmwiedergabe. Das beste Beispiel dafür ist Tanita Tikaram, deren „Twist In My Sobriety» sicher noch jedermann vertraut ist. Ihre eigentümliche, dunkel-geheimnisvolle Stimme auf „Ancient Heart» (1988, WEA 243877-2) ist kraftvoll und doch zerbrechlich, wie sie mit dem „Cathedral Song» nachdrücklich beweist. Präzise gezeichnet scheint sie vor mir zu stehen, auch als sie die „World Outside Your Window» eindringlich beschreibt. Die Vaic erwies sich als eher ungnädig mit schwachen Aufnahmen und ist daher nicht für „Euphonie-Fans» geeignet; sie zeigt eventuell vorhandene Schwächen der vorgeschalteten Kette bzw. der Endstufenschaltung deutlich auf. Dass sie dabei eventuell ein wenig zuviel des guten tut, fällt erst auf, wenn man mit ziemlich kritischem Material auf sie losgeht. Da wird dann schon einmal eine leichte Schärfe in der Stimme von Sting beim „Englishman In New York» hörbar, die eigentlich nicht vorhanden ist. Letztlich eine sehr gute Röhre mit recht geringer Mikrofonieneigung, die in etwas »weich« klingenden Ketten genau richtig sein könnte.

WE 300B

300b-western-electric Die Western Electric (der neuen Produktion) kommt dem am nächsten, was man unter klassischem 300B-Klang versteht. Dieser wurde von der „alten» Western Electric 300B definiert, die von der neuen Produktion aber nicht erreicht wird. Das heisst: guter Aufbau des virtuellen Raumes, ausserordentlich schöne, klare Mitten, deren Qualität an den Frequenzextremen aber leider nicht ganz erreicht wird. Etwas weich unten und mit ein bisschen zu starker Betonung der Sibillanten oben fehlt es etwas an absoluter Ausgewogenheit. So wird Ofra Haza plastisch vorstellbar in den Raum projiziert, wenn sie ihren grössten Erfolg „Im Nin ’Alu» intoniert.

Wunderschön in der Ausstrahlung, hier wird deutlich, was viele Menschen an der Western Electric fasziniert. Der 300B-Zauber lebt – doch leider scheint die musikalische Begleitung der Sängerin ein wenig zu langsam im Bassbereich zu sein. Es fehlt mir bei aller Flinkheit der Mitten ein wenig von der homogenen Explosivität im Tonaufbau, zu der gerade die allerbesten 300B’s fähig sind. Gut verarbeitet ist die Western, ohne Frage. Wer also das Original will und dessen klangliche Eigenheiten tolerieren kann, wird hier glücklich. In Kombination mit bestimmten Endstufen/Lautsprechern (ich denke da speziell an Fullrange-Chassis a la Lowther) könnte die WE die genau richtige Lösung darstellen.

Golden Dragon 300B

300b-golden-dragon Noch eine 300B, der ein klar definierter Ruf vorausgeht: Die Golden Dragon (ältere Produktion). Chinesische Röhren haben noch immer per se einen Ruf als „China-Kracher». Die ersten Produktionslinien und deren Neigung, sich recht plötzlich vom Dienst zu verabschieden, waren die Ursache dafür. Davon konnte bei den mir vorliegenden Exemplaren zwar nicht die Rede sein – aber sie klangen relativ unausgewogen mit etwas enger Raumabbildung, wirkten eher soft im Klangbild und legten einen leichten „Grauschleier» über die Musik. Wirklicher Spass am Musikhören kam nicht auf. Insgesamt überzeugten mich diese Röhren nicht so recht. Auch wiesen fast alle ein deutliches „Klinnnnnng» auf – Mikrofonieempfindlichkeit par excellence! Daher ist von der Verwendung dieser Röhren aus der alten Serie eher abzuraten.

Inzwischen gibt es aus chinesischer Produktion hervorragende 300B – doch dazu mehr im zweiten Teil dieses Berichts […].

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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