Moderne Zeiten: 300B plus (1,5A-Fraktion)
VAIC VV30B
Schwer zu finden ist heutzutage die Vaic VV30B, die ab Anfang der Neunziger Jahre (für einen relativ kurzen Zeitraum) produziert wurde – Probleme mit einem Materialzulieferer waren schuld daran, so heisst es. Nichtsdestotrotz ist dies eine äusserst stabile Röhre, die zwar nicht ganz so hoch baut wie die neueren tschechischen Varianten, aber nicht nur die erste Neuentwicklung im Bereich der direktgeheizten Trioden nach ca. 50 Jahren darstellte, sondern nach wie vor phantastische Klangerlebnisse ermöglicht. So spielen etwa Wolfgang Puschnig und seine Mitstreiter Herbert Joos, Emil Kristof und Achim Tang auf dem 1999 erschienenen „Aspects» (PAO Records 10710) sehr motiviert und engagiert auf. Die Darstellung der vier Musiker ist klar umrissen, präzise und mit viel „Luft», alles wirkt sehr realistisch. Ein sehr kohärent-sauberes Klangbild, das manchen 300B-Freaks schon wieder zu „transistorartig», weil konsequent auflösend, erscheint, zeichnet die VV30B aus. Es ist mehr „Saft» vorhanden als bei den klassischen 300B-Varianten, so dass zu diesem Klangbild eine Erweiterung der als Partner für so bestückte Endstufen in Frage kommenden Lautsprecher (ab ca. 90 dB/W/m Wirkungsgrad geht es dann schon ziemlich zur Sache) kommt. Kaum Mikrofonie, ein klares, sauberes Klangbild, das sich in neutral abgestimmten Ketten optimal entfaltet – kurz: Eine Röhre, nach der es sich zu suchen lohnt.
Vaic VV320B
Die nächste neuere Vertreterin dieser Art, die Vaic VV320B (Produktion von 2001, schwarzer Sockel), ist etwas leichter zu bekommen. Die als direkte Nachfolgerin der VV30B entwickelte Röhre ist mehr als nur eine stärkere Version der VV300B, der gegenüber sie kraftvoller wirkt, wenngleich mir da kleine Schwächen in der Feinauflösung (insbesondere im Hochton) auffielen. Sehr schön festzustellen war dies mit Hilfe von Hubert von Goisern’s „Gombe Afrika»-Projekt. Beeinflusst von einer im Winter 1994 unerwartet stattfindenden mit Jane Goodall und den Geschichten, die sie zu erzählen wusste, folgten zwei Reisen nach Afrika, ein Film und schliesslich 1998 diese CD (BMG Ariola Austria 74321 579022). Wie schreibt HvG doch im Booklet dazu: „Vielleicht gibt sie etwas von dem weiter, was ich seit jenem ersten Abend in mir trage. Die Hitze, die sich schon in den Morgenstunden wie eine schwere Hand auf alles legt, den Geruch der Erde, das langsamer- aber dabei feinerwerden der Sinne, das sanfte Streicheln der Wellen über die Kieselsteine des Tanganjikasees, die Wildheit des Paradieses und seinen Zauber». Es ist ihm gelungen, genau diese Eindrücke in eine Musik zu fassen, auf die man sich einlassen muss, die nicht zur Effekthascherei taugt, aber mit winzigen Facetten zu faszinieren vermag. Der Bassbereich, den die VV320B dabei zeichnet, ist voll, sehr gut fundamentiert, aber nicht unpräzise, wenngleich die Kohärenz mit dem restlichen Frequenzspektrum nicht optimal ist. Irgendwie tut mir die VV320B da ein wenig zuviel. Dennoch eine sehr solide Röhre, die hervorragend stabil gebaut ist. Einen Versuch ist sie jedenfalls in bassschwächeren, ansonsten etwas zu wenig dynamischen Ketten unbedingt wert.
Ayon Audio WE 300B(XL)
Die dritte im Bunde ist die Ayon Audio 300BXL. Diese Röhre ist leistungsmässig wie auch physisch noch etwas stärker respektive massiver als die anderen 300B-plus-Röhren. Dabei entwickelt sie ein sehr sauberes, enorm feinauflösendes Darstellungsvermögen mit ausgeprägter Dreidimensionalität. Anders gesagt: Das „sanfte Kraftpaket» langt ganz schön hin, wenn es gefordert wird. So auch bei Eminem und „Lose Yourself», der Hitsingle aus dem Film 8 Mile, in dem der sogenannte Skandal-Rapper mitspielt. Der simple und doch faszinierend-treibende Rhythmus, der den Song trägt, verlangt nach einer präzisen Definition besonders im Bass, um seine fast hypnotische Wirkung voll entwickeln zu können. Eminems Stimme wird zum Instrument, der (gar nicht mal so üble) Text zur Nebensache – in der Tat, in diesem Stück kann man sich wirklich verlieren. Dass übrigens anstössige Worte aus dem Text bei der Sendung des Videos auf MTV entfernt wurden, hinterliess mich doch ein wenig kopfschüttelnd.
Dann hätten diverse andere Rap-Machwerke fast nur noch aus Ausblendungen bestanden… Okay, anderes Thema. Zurück zur Ayon-Röhre. Beeindruckend ist es schon, wie locker mit ihr die Metal-Gewitter von Metallica auf ihrem Schwarzen Album (Vertigo 510022-2) im Raum entstehen, ohne dabei die fein gezeichneten Zwischentöne etwa bei „The Unforgiven» zu vernachlässigen. Die grosse Bruchlosigkeit vom satten Bass uber die schönen Mitten bis zum ziselierten Hochtonbereich ist jedenfalls fraglos das grosse Plus der Ayon Audio 300BXL. Verarbeitung und Mikrofonieunempfindlichkeit sind auf hohem Niveau – wenngleich die erste Serie einen nicht besonders gut befestigten Sockel aufwies, was inzwischen korrigiert wurde. Ansonsten bleibt nur noch zu sagen: Ein Anhören unbedingt wert.
Electro Harmonix 300B (made by Sovtek)
Auch in Russland werden schon seit vielen Jahren Röhren gebaut – und jetzt werden auch 300B wieder verstärkt produziert. Um bezüglich der Electro Harmonix/Sovtek mit der (klanglichen) Türe gleich ins (musikalische) Haus zu fallen: Im gesamten Bassbereich erscheint mir diese Röhre als zu weichzeichnend, dabei gerät der Oberbass zu schlank. Dadurch fehlt es etwas an „Durchzug». Die Mitten werden dafür gut aufgelöst, wenn auch nicht ganz so gut wie bei den besten erhältlichen 300B. Der Hochton neigt insbesondere bei noch uneingespielten Electro Harmonix zu leichten Schärfen, die aber ein wenig „nachdunkeln» im Laufe der Zeit. Ein Horn mit Fullrange-Chassis (z.B. Keller, Stamm, Lowther) könnte ich mir als besten Partner für diese 300B vorstellen. Gut zu beobachten war diese Klangausrichtung etwa bei der Jethro Tull-LP „Too Old To Rock’n’Roll: Too Young To Die!» (Chrysalis, 1976, 202 663-320).
So wurde der Titelsong beispielsweise schon gut wiedergegeben, nur ein paar Feinheiten schienen etwas verschliffen zu sein. Ebenso beim „Pied Piper» – ein wenig zu grobkörnig wirkte die Präsentation des Bildes, das Ian Anderson und seine Mitstreiter damals entwarfen. Der interne Aufbau dieser Röhre scheint eher klassisch, dadurch baut die Electro Harmonix nicht so hoch wie andere aktuelle Typen, sondern entspricht da recht genau der WE. Leider besteht eine relativ gesehen stärkere Klingelneigung als bei anderen Vertretern ihrer Art. Dennoch: Eine respektable Anfangsröhre, wenn man nicht gleich mit dem Original beginnen will.
KR 300B (Globe)
Ein intern völlig geschlossenes System zeichnet die 300B aus dem Hause Kron aus. Dadurch leuchtet diese Röhre überhaupt nicht mehr; ein offensichtliches Optik-Fiasko also für alle „Glühkolben-Romantiker». Doch das zählt nicht wirklich. Alles andere als ein Waterloo findet nämlich klanglich statt: Sehr sauber zeichnend, präzise, mit stabilem Bassfundament, dennoch mit der Klangmagie der 300B ausgestattet – so wunderbar stabil-harmonisch präsentiert sich die KR 300B. Kurz: Für mich ist es derzeit eine der besten 300Bs überhaupt. Ihr sehr robust wirkender Innnenaufbau ist mit Sicherheit daran beteiligt, dass keine Mikrofonieneigung feststellbar war. Ebenso wie vielleicht auch die alte Globe-Form des Glaskolbens und das extrem hohe Vakuum, das der Hersteller für sich in Anspruch nimmt. In meinen Kombinationen bewiesen die KR-300er jedenfalls ihre Qualitäten sowohl bei der klassischen Aufnahme der Klavierkonzerte Nr.2 (B-Dur, op. 19) und Nr.4 (G-Dur op.58) [mit Wilhelm Kempff als Solist sowie den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Ferdinand Leitner] wie auch beim Metal-Gewitter von Metallica (Schwarzes Album, Vertigo 510 022-1). Sie wirkten immer souverän, unangestrengt. Ob nun das Adagio des 2. Satzes des „Zweiten» oder das Rondo-Vivace des 3. Satzes des 4. Beethovenschen‘ Klavierkonzertes auf dem Programm stand – geradezu lässig zeigte die Kron-Röhre, was in der von Toningenieur Werner Wolf 1964 in bewährter DG-Qualität aufgenommenen Scheibe musikalisch steckt. Und das ist beileibe nicht wenig!
Aber auch der intelligente Metal-Rock von Metallica kommt voll zu seinem Recht. Abfeiern mit Druck und Power ist angesagt – und genau das liefert die KR 300B völlig unangestrengt ab. Wobei die Unterschiede zwischen der CD und der LP sehr klar erkennbar werden. Die Besonderheit des mir vorliegenden Pärchens: es war auf ca. 1,8 A ausgelegt und lief dennoch erstaunlicherweise sowohl bei 1,2 A wie auch bei 1,5 A problemlos, ohne relevante Klangdiskrepanzen. Inwieweit die eventuelle Unterheizung die Lebensdauer des Heizfadens beeinflusst, vermag ich nicht zu sagen. Sofern dies nicht der Fall ist und in der gesamten Serie eine 1,8-A-Auslegung gegeben ist, was ich beides so leider nicht überprüfen kann, wäre sie eine erstklassige Lösung für die meisten 300B-SET-Amps – unabhängig davon, ob nun 1,2 oder 1,5 A anliegen.