300B-Röhren

Sophia Electric 300B Mesh Plate (Globe)

300b-sophia Optisch stellt die Sophia – trotz gleicher Aussenform – ganz besonders im laufenden Betrieb den krassen Gegensatz zur KR dar. Es ist schon ein Augenschmaus, wenn abends das gelochte Gitter (mesh = Masche – so wie in dem schönen Wort Maschendrahtzaun – der Begriff Mesh Plate erklärt also bereits die Besonderheit) erglüht… Aber sie ist auch ein akustischer Traum mit extrem klarer Zeichnung von Raum und Details, die sofort auffällt. Bemerkenswert ist zudem der Hochtonbereich. Er scheint etwas dunkler timbriert als bei anderen 300B’s, aber nicht weniger präzise – eine Sache der Klangabstimmung der jeweiligen Kette also. Erneut. Wenn es passt, dann richtig. In der Tat ist die (in China produzierte) Sophia fraglos eine der besten ihrer Art – ein Klasseteil. Ehrlich und geradeaus abgestimmte Ketten werden von den Fähigkeiten dieser 300B in Sachen Räumlichkeit, Abbildungsschärfe und Farbstärke profitieren, für Breitbandsysteme erscheint mir der obere Frequenzbereich zu wenig „aufgehellt».

Auch die Verarbeitung ist hervorragend – Keramiksockel und vergoldete Pins inklusive. So eindringlich kann ich mich die Oscar Peterson-Aufnahme „my favorite instrument» aus der „exclusively for my friends»-Serie als LP (MPS 15031) nicht erinnern je empfunden zu haben wie bei der Wiedergabe mittels dieser Röhren. Wenn es musikalisch-magische Momente gibt, dann war dies einer. Ich glaubte zeitweilig, wirklich dabei zu sein, die Bewegung der Zuhörer wie des Pianisten spüren zu können. Von „Someone To Watch Over Me» aus der Feder der Gershwins (George und Ira) bis zum von Billy Strayhorn komponierten, abschliessenden „Take The A-Train» ein einziger Musikgenuss. Ja, hier waren ausschliesslich Könner am Werk, so dass ich nur Mr. Spock zitieren kann: Faszinierend. Die Frage „Ist diese 300B ein Kracher?» kann ich also nur beantworten mit: „Ja, unbedingt – aber sie hat nichts mit den oft zitierten China-Böllern zu tun!». Dieses Vorurteil wird von der Sophia eindeutig ad absurdum geführt. Sie ist, um im Bilde zu bleiben, ein Volltreffer aus dem Reich der Mitte!

Vaic 300B C37

Diese spezielle Version der Vaic 300B wurde mit einem in Zusammenarbeit mit Dieter Ennemoser (dem Erfinder des C37-Lacks) entwickelten Glaskolben hergestellt. Und, ohne die C37-Diskussion an dieser Stelle fortführen oder gar werten zu wollen: In Bezug auf diese Röhre gilt, dass zweifelsfrei eine sehr gute 300B aus dieser Kooperation entstand. Es gelang hier, dem charakteristisch neutral-sauberen Vaic-Klang eine zusätzliche, natürlich-harmonische Komponente hinzuzufügen, die sie zu einer interessanten Alternative im 300B-Sektor macht.

Die Atmosphäre der besonderen Lokationen bei der Aufnahme von Jackson Browne’s „Running On Empty» (1977, Asylum Records AS 53 070) beispielsweise kommt toll ’rüber. So ist es klar erkennbar, dass etwa bei „The Road» (in einem Hotelzimmer aufgenommen) eine andere Akustik herrscht als bei „You Love The Thunder» (live) oder „Nothing But Time» (im Tourbus aufgezeichnet) – unabhängig von der Abmischung. Ein Album, das mit Nachdenklichkeit begeistert. Die stabil aufgebaute, mikrofoniearme 300B C37 vermittelt dies ganz hervorragend – auch hier lohnt die Suche.

Svetlana 300B

Eine in Russland als getreuer Nachbau der Western Electric gebaute Röhre, die diese zwar qualitativ nicht ganz erreicht, aber als preiswerte Alternative angesehen werden kann. So stellt sie sich auch insgesamt klanglich dar: mit Stärken in den Mitten und leichten Schwächen an den Frequenzextremen.
Leider zeigt sich bei dieser 300B immer wieder eine nicht überzeugende Fertigungskonstanz. Das heisst im Klartext: Einige der früher produzierten Exemplare überleben die ersten Betriebsstunden nicht. Die, die „durchkommen», sind der WE nicht nur baulich, sondern auch klanglich sehr ähnlich, weshalb das dort gesagte zum Klang in leicht abgeschwächter Form ebenso für die Svetlana gilt. Gut nachzuvollziehen ist dies beispielsweise anhand der ladylike-melancholischen Stimme von Mandy Barnett („I’ve got a right to cry», 1999, SIRE 31046-2).

Valve Art 300B

300b-valveart Eine solide, gut gefertigte Röhre, bei der man sich über die Verarbeitungsqualität nicht weiter Gedanken machen muss – aus China. Nein, nicht nur die Sophia 300B widerlegt dieses Vorurteil, die Valve Art tut dasselbe. Zumindest in der mir vorliegenden Version mit „Gold-Getter». Klanglich in allen Belangen zumindest überdurchschnittlich und nur in Teilbereichen meinen persönlichen Favoriten unterlegen, kommt sie sehr musikalisch daher.

Jean-Michel Jarre erzeugt bei „The Concerts In China» (Polydor Stereo DLP 2612 039) eine so magische Stimmung, wie es nur selten mit elektronischen Mitteln gelingt – LIVE! Selbst wenn ich gegenüber der überzeugendsten 300B anfangs ein weniges an Hochtonglätte vermisste – nach kurzer Zeit bereits versank ich im Bann dieser Musik, ohne am Gesamteindruck etwas störend zu finden. Unauffällig gut. Nein, hervorragend.

Zudem war es bei dem mir vorliegenden Pärchen möglich, einen erhöhten Anodenstrom von bis zu 90 mA zu fahren, der in erhöhter Leistungsausbeute der Endstufe resultiert. Eine nette „Dreingabe», wie ich finde. Etwas möchte ich noch anmerken: Es gibt derzeit viele Röhren aus chinesischer Produktion am Markt, deren Herkunft wegen mangelnder Kennzeichnung nicht feststellbar ist. Leider, denn neben einigen „Graupen» sind zu günstigen Preisen gelegentlich auch hervorragende Exemplare darunter, die sich nicht im Geringsten verstecken müssen. Aber man weiss bedauerlicherweise vorher nicht, was man da in die Hand (respektive in den Amp) bekommt. Schade!

Fazit

Es gibt inzwischen glücklicherweise wieder eine erstaunliche Vielzahl an 300B-Varianten und -Derivaten. Auch wenn bei der derzeitigen globalen Gesamtwirtschaftslage zu befürchten steht, dass der eine oder andere Hersteller nicht sehr lange existieren mag oder häufigere Wechsel der Modellpalette bei anderen Produzenten für Verwirrung sorgen werden: Sie sind noch/wieder da, die 300B! Und diese Röhren werden auch noch lange existieren, wenn der eine oder andere aktuell angesagte Transistortyp schon lange wieder vergessen ist. Immerhin wird aktuell wieder in mehreren Ländern der Stoff für die glühende Leidenschaft der 300B-Fans produziert (Tschechien, Russland, China, Slowakei, USA, …).

Die Preise der jeweiligen Röhren habe ich absichtlich nicht erwähnt – in den meisten Fällen weiss ich selbst nicht, was die Röhren pro Stück/Paar kosten. Das erfragen Sie bitte bei Ihrer jeweiligen Bezugsquelle bzw. beim Vertrieb. Mich hat es erst einmal nicht interessiert – derartiges Wissen erzeugt ja schnell Vorurteile -, denn schliesslich geht es in diesem Fall nur um dem Klangcharakter der verschiedenen 300B.

Bei den mir für diesen Bericht vorliegenden Exemplaren zeigte sich nun eine erstaunliche Vielfalt an technischen Varianten und klanglichen Auslegungen – was beweist, dass die Kombination Endstufe-Lautsprecherkabel-Lautsprecher konsequenterweise als Einheit zu sehen ist. In Bezug auf SE-Endstufen muss man, präziser ausgedrückt, sogar von der Röhrensatz-Endstufe-Lautsprecherkabel-Lautsprecher-Kombination sprechen – diese Elemente sind nur als ein Ganzes wirklich sinnvoll zu betrachten. Gerade bei der Beurteilung von Röhren. Daher sei nochmals betont, dass es sich bei meinen Kommentaren um spezifische Aussagen handelt, die ich nicht zu verabsolutieren/generalisieren bitte. Womit ich mich keinesfalls wachsweich aus der Affäre ziehen will – aber: „Wat den een sin Uhl, et dem annern sin Nachtigall» – na, Sie wissen schon… Eine ultimative 300B, die immer und in jeder Kombination alle anderen überragt, dürfte es also kaum geben (…wäre ja auch irgendwie langweilig, man hätte nichts mehr zum Ausprobieren…). Wie sehr erstklassige SingleEnded-Endstufen auf Veränderungen im Röhrensatz reagieren, zeigte sich im Verlaufe der Vorbereitung dieses Berichts immer wieder auf’s Neue. Um das Ausprobieren werden Sie also nicht völlig herumkommen – es sei Ihnen gegönnt.

Dennoch bekenne ich, dass ich selbstverständlich für meine Kombination(en) meine Favoriten habe. Das sind bei den 1,5 A-Typen die ausgeglichene Vaic VV30B, die souveräne KR 300B und die kraftvolle Ayon 300BXL sowie bei den normalen 1,2 A-300B die faszinierende Sophia 300B, die geschmeidig-natürliche Vaic C37-300B sowie die erstaunlich gute Valve Art 300B. Und da meine Arbeit in Sachen 300B-Klangforschung nun vorerst einmal getan ist, entschuldigen Sie mich jetzt bitte – ich muss zurück zu meiner Anlage, Musik geniessen…

(Von Wolfgang Vogel, © 2006 Hörerlebnis )
Hinweis: Der Artikel wurde, so es denn sinnvoll erschien, zusätzlich bebildert.

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen. Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

Kommentare sind geschlossen.