An und für sich ist der Experience-Röhrenverstärker (mit EL34) ja kein schlechter Verstärker. Trotz Verschleierungstaktik kann man den Verstärker – allein an der Verdrahtungsart und den Koppelkondensatoren – als Yaqin MS35 identifizieren. Erfahrungssache halt! Und dann fängt man an zu stutzen: Die „ungewöhnliche“ Röhrenbestückung in der Vorstufe „irritiert“ ein bisschen, denn die besteht aus einer 12AX7-B und 6N8 je Vorstufenkanal.
Verstärker mit Röhrentausch-Virus & Stutzeffekt!
Ungewöhnlich ist das deshalb, weil bei Push-Pull Verstärkern dieser Art hauptsächlich 6N-Wassweissich Röhren verwendet werden (Ausnahme: der Yaqin MC100B). Und wo wir schon bei 6N-Röhren sind – die 12AX7-B nennt man bei ihrem richtigen Namen: 6N2. Nicht das es zu Verwechslungen kommt – das hat die (echte) 12AX7 bzw. ECC83 nun wirklich nicht verdient. Und da wären wir wieder bei der „typischen“ 6N-Bestückung und alles wäre paletti, oder?
Nun ja, nicht ganz. Angeboten wird der Experience MK2 Röhrenverstärker quasi als „Universalgenie“ – entweder mit den Endröhren 6CA7 bzw. EL34-B oder mit KT88-98 bestückt. Die annoncierten Leistungsdaten sind allerdings wohl auf EL34-B bezogen. Zumindest was „Watt“ betrifft, ändert sich daran, auch bei Einsatz von KT88, nichts. Wenn sich das „universelle“ nun auf die Oktal-Röhrenfassungen bezieht, in der man alles einflanschen kann, was einen Oktalsockel hat, dann ist das vollkommen in Ordnung.
Also, Schaltplan herauszeichen. Und dann stutzt man wieder, denn die Röhrenbeschaltung der Vorstufe erinnert zunächst stark an den Yaqin MC100B, letztendlich erweist sich die komplette Röhrenbeschaltung nahezu identisch mit dem Yaqin MC5881 und zumindest im Vorstufenbereich identisch mit dem MC-10. Bei diesen Verstärkermodellen sind aber 6N1-Röhren eingesetzt. Nanu?
Platinenlayout, Schaltung, Anordnung der Bauteile – all das hat man irgendwie schon einmal bei anderen Verstärkermodellen gesehen. Diese Verwandtschaftsverhältnisse kann der Experience bzw. MS35 nicht verleugnen. Warum auch? In anderen Bereichen wird auch auf bereits vorhandenes zurückgegriffen, lediglich nur etwas abgewandelt. Das ist z.B. in der Automobilindustrie an der Tagesordnung. So eine komplette Neuentwicklung kostet schliesslich. Übrigens, nahezu jeder Verstärkerhersteller hat seine favorisierte Schaltungsart… So what?
Wenn man aber über Erfahrung bei der Machart bzw. Konstruktion dieser Röhrenverstärker verfügt, stutzt man ein weiteres Mal, denn eine 6N1 (Röhrenbestückung MC-10 und MC5881) ist keine 6N2 und schon gar keine 6N8. Und noch einmal stutzt man, wenn man feststellt, dass sich in dem Experience MK2 keine weitere Elektronik findet, die die notwendigen (!) Anpassungen für solche unterschiedlichen Leistungsröhren (EL34 und KT88), die ja komplett in einer anderen Leistungsliga spielen, vornehmen. Das ist genauso, als ob man einen normalen Mittelklassewagen mit dem Zwei-Euro-Fuffzich Premiumsuper betankt…
Man kommt also aus dem stutzen nicht mehr heraus
Zurecht, denn die Röhrenschaltung des Experience MK2 ist für EL34 (6CA7) gut geeignet. Sicher, wenn der Netztrafo auch die Bedürfnisse einer KT88 berücksichtigt, kann man auch eine KT88 in eine (modifizierte!) EL34-Röhrenschaltung stecken. Kann man machen, bringt nur leider nicht allzuviel. Eine Betriebsspannung von ca. 430 Volt (im Leerlauf) ist für solche „dicke“ Röhren nun einmal „etwas“ dünn. Ein „paar Volt“ mehr Versorgungsspannung dürfen es schon sein, wenn KT88 und Co richtig arbeiten sollen. Den Ra/a des Übertragers hingegen kann man so wählen, dass sich EL34 und KT88 (6550) gleichermaßen „wohlfühlen“. Das ist nur ein Aspekt!
Ein Schaltungsdetail verrät dem Fachmann aber, dass dieser Röhrenverstärker – so out of the box – nicht unbedingt für Tetroden wie z.B. 6L6GC, 5881 oder KT66 geeignet erscheint (Wenn man eine KT88 nicht richtig fordert, dann klappts damit gerade eben noch). Dieses Detail spielt nicht nur den Arbeitspunkt der Röhre eine Rolle, sondern auch für die Röhre an sich, bzw. deren Konstruktion (wichtigster „Bestandteil“ ist ja das „Nichts“). Röhren, die z.B. bläulich flackern, könnten dann schon ein paar Probleme bekommen… Mutig sind auch die BIAS-Angaben, die auf der Chassis-Oberseite angebracht wurden…
Vor diesem Hintergrund sind die Kundenwünsche, diesen – meist mit KT88-98 bestückten – Verstärker „etwas mehr Dampf“ zu geben, mehr Dynamik und vor allem das Klangbild ausgewogener zu gestalten, verständlich. Aber eben nicht nicht mit den Leistungsboliden KT88 – den Zahn kann man sich sofort ziehen. Bleiben wir also mal besser bei dem, was der Hersteller (!) auch auf der Platine gestempelt hat, sich auch in der Bedienungsanleitung wiederfindet und sich nicht zuletzt auch in der Röhrenschaltung (Schaltungsdetail) manifestiert: EL34 bzw. 6CA7.
Vorstufe
Die 6N2 (12AX7-B) ist bei Musikern ja eine ganz beliebte Röhre (warum weiss ich nicht) und zu der 6N8 (die ja eigentlich ein 6SN7GT-Derivat sein soll) habe ich eine ganz spezielle Meinung. Die erste Röhrenstufe im Experience ist dabei als „Herstellertypische-SRPP“ beschaltet und die zweite Stufe als Phasenumkehr (klassische „Long tail pair“). Hier liegt das grösste Potential eines
Customize
Hier kann man z.B. die SRPP so beschalten, dass man auch wirklich von SRPP reden kann. Dazu ist auch eine andere Röhrenbestückung erforderlich! Eine gute 12AT7 (ECC81) findet in der umdimensionierten SRPP ihre neue Wirkungsstätte. Die „neue“ Vorstufenbeschaltung zieht natürlich eine neue Gegenkopplung nach sich, die dann wesentlich moderater ausfallen sollte, um der SRPP mehr Raum zu lassen. Ein dezentes Lag-Netzwerk bringt der doch eher frigiden SRPP-Stufe „ein paar Unsauberkeiten“ bei oder, salopp ausgedrückt – man bringt damit, wohldosiert, den Röhrenklang zurück (eine richtige SRPP klingt nicht…).
Die Phasenumkehr des Experience arbeitet, ja. Kann man machen, kann man akzeptieren. Da die ursprüngliche Beschaltung auf 6N1 zugeschnitten war/ist, besteht die Annahme, dass es mit der 6N8 nicht ganz so „rund“ läuft. Nun, um ehrlich zu bleiben: Sooo viel braucht nicht geändert zu werden, aber man sollte eine „richtige“ 6SN7GT oder eine russische 6N8P (6H8C) einsetzen.
Die Endröhren sind über einen dicken Hochlastwiderstand an die Versorgungsspannung angeschlossen, laufen also im sog. Pentodenmodus. Des weiteren finden sich ebenfalls Hochlastwiderstände an der Kathode. Die Schirmgitterwiderstände sind mit 7W (in Worten: Sieben Watt!) dimensioniert, die Kathodenwiderstände mit 5 (fünf) Watt. Also, so leicht geben diese Widerstände nicht auf, falls mal eine Endröhre Amok läuft. Alle Hoffnung ruht dann auf die Schmelzsicherung im sekundären Stromkreis. Besser und sicherer gehts mit entsprechenden Emaille-Drahtwiderständen und vor allem mit einer sinnvollen Dimensionierung.
Der Fünfwatter findet seine neue Bestimmung als Teil eines Zobelglied am Lautsprecherausgang. Dies schützt nicht nur den Röhrenverstärker vor „zufällig“ abfallenden Lautsprecherkabeln, es wirkt auch auf die angeschlossene Lautsprecherimpedanz linearisierend.
Neben dem üblichen „Kram“ (Signalführung und Koppelkondensatoren) darf man noch etwas am Netzteil schrauben, was sich bei dem Experience als „etwas tricky“ gestaltet. Aber mit den richtigen Bauteilen ist auch das zu meistern.
Als Endröhren wird die 6CA7 von Electro Harmonix eingesetzt. Diese kommt der EL34 recht nahe, ist aber ein bisschen leistungsstärker. Zudem bringt sie etwas „Tetrodenhaftes“ ins Klangbild. Damit man nun nicht (man kennt ja den Virus „Röhrentausch“, der einem ab und an befällt) auf EL34 bzw. 6CA7 festgenagelt ist, wird noch dafür gesorgt, dass man auch andere Röhren der gleichen Leistungsklasse wie z.B. 6L6GC, 5881 oder KT66 einsetzen kann. Der dann notwendige Ruhestromabgleich gestaltet sich bei dem Experience ja recht einfach. Nochmals: Die genannten Röhren können/dürfen erst nach einem Umbau eingesetzt werden! Das aber nur nebenbei.
Nun alles wieder zusammensetzen, Röhren einstecken und die 6CA7-Röhren auf gemächliche 30mA einstellen und probehören. Na bitte! Da steht nun ein Verstärker, der durchaus seine Muskeln spielen lassen und seine unangestrengten 35 Sinus-Watt pro Kanal sehr eindrucksvoll darstellen kann. Natürlich kann man noch etwas mehr Leistung herauskitzeln. Wenn man mit dem erhöhten Klirr leben kann, bitte. Nötig ist das aber nicht.
Ein-Druck-svoll. Meine Cabasse Lautsprecher haben ihren Lebenspartner gefunden! Alles ist so, wie ich es mir vorgestellt hatte […] Wirklich druckvoll akzentuierte Bässe, präzise Mitten und klare (überhaupt nicht aufdringliche) Höhen! Dazu diese phänomenale Stereobühne […] Merci!
Hinweis: Der ursprüngliche Artikel stammt vom 10.12.2012!