Denkste.
Ich liebe Retro-Röhrenverstärker mit ihren Überraschungen.
So umgebaut werden die KT88 auf lediglich 20mA Ruhestrom eingestellt. Zum testen reicht das. Das Oszilloskop zeigt eine hübsche Null-Linie. Super. Testsignal eingespeist – und dann passierte es: Ab einem bestimmten Eingangspegel wird der Verstärker schlagartig instabil und fängt an, hochfrequenten Unfug zu treiben. Witzigerweise nicht auf beiden Kanälen mit der gleichen Intensität. Keine Chance mit höheren Ruheströmen zu arbeiten.
Der „Bock» findet sich bei der 6FQ7-Phasenumkehr. Irgend etwas ist also mit dieser Röhre. Die Recherche zu dieser Röhre hat länger gedauert, als das „Aufhübschen». Ich mache es kurz:
Die 6FQ7…
…ist zwar, trotz (fast) gleicher Daten, verwandt mit der 6SN7 – sie ist aber keine 6SN7, auch wenn das an mehreren Stellen so dargestellt wird. Sie ist eher als die Tochter der 6CG7 zu bezeichnen, deren Mutter eben die 6SN7GT ist.
Es gab damals Anwendungen (meistens HF-Kram), die die 12AU7 (ECC82) – als „kleines» 6SN7-Derivat (!) – nur unzureichend erfüllen konnte. Man „packte» daher die 6SN7-Röhrenkonstruktion in einen kleineren Glaskolben. Natürlich mit entsprechenden mechanischen Änderungen, die u.a. auch ein Schirmblech zwischen den beiden Triodensystem vorsah, um die Triodensysteme zu „isolieren». Auch die Aufheizzeit wurde gegenüber der einfachen 6SN7 verkürzt. Dieses Konstrukt nannte man dann 6CG7. Erst damit konnten die entsprechenden Anforderungen erfüllt werden. Die (echte) 6CG7 war (und ist) deshalb entsprechend teuer.
6CG7 / 6FQ7 vs. 12AU7 / 6SN7GT
Die 6FQ7 kann als „Billig-Variante» der 6CG7 bezeichnet werden. Sie ist mechanisch etwas grosszügiger aufgebaut und besitzt kein Schirmblech, um die Triodensysteme zu „isolieren»!
Die eigentliche Fehlerursache: Die Röhre hat Probleme mit dem maximalen Uf/k. Die Datenblattangaben hierzu sind zunächst widersprüchlich. Ein Datenblatt „redet» strikt von 100V, ein anderes von 200V (wie bei 6SN7). Letztere Angabe ist aber häufig (Achtung: Nicht immer) mit einem Hinweis zur Fußnote versehen, was man gerne übersieht! Kurz und gut: Die maximalen 100V Uf/k sind realistisch. Im D-75A ist die 6FQ7 mit unsymmetrierter Wechselspannung beheizt. Und so, wie nun beschaltet, fallen über den Kathodenwiderstand über 160 Volt ab. Für eine 12AU7 bzw. 6SN7 kein Problem, da Uf/k max. 180V beträgt.
Grobe Faustformel: Misst man an der Kathode eine Spannung über Max-Uf/k-Wert, dann sind Probleme, ohne entsprechende Gegenmaßnahmen, vorprogrammiert.
Die 6FQ7 wird übrigens nur im D-75A verwendet. Andere MFA-Verstärker sind entweder mit 6SN7 oder mit 12AU7 (bzw. 5687) bestückt.
Die Versorgungsspannung der Phasenumkehr wird nun etwas gemindert und die Heizspannung symmetriert. Auch die 6FQ7 muss nun das Raumschiff verlassen und wird durch 5687 (bzw. 12AU7 o. ECC82) ersetzt. Dazu muss nur die Heizung umgelötet werden.
Ein erneuter Test läuft sehr zufriedenstellend. Die Oszilloskop-Bilder sind wie aus dem Lehrbuch.
Probegehört… Also wirklich, da ist deutlich mehr „Fleisch am Knochen». Ganz ohne sedierende Kapazitäten.
Anmerkungen speziell zum D-75A
In den USA ist nicht nur alles „big», man muss auch, in gewissen Maßen, etwas „crazy» sein. Sonst wird das mit dem „big» sein nichts.
Es folgt etwas „crazy-haftes»:
Netzteil Vorstufe
Sowohl die SRPP als auch die Phasenumkehr werden über eine Spannungsverdoppler-Schaltung mit „Energie» versorgt. Die Phasenumkehr bekommt die volle Spannung von 560 Volt, die SRPP – über Serienwiderstand, Zenerdioden und parallel dazu zwei seriell geschaltete 0A2 – eine Versorgungsspannung von 300V. Für die SRPP wird also 260V, sprichwörtlich, vernichtet.
Eisenhaltiges
Wenn man sich die Anordnung des Eisenmaterial ansieht, dann könnte man vermuten, dass ein Übertrager vom Netztrafo Brumm induziert bekommt. Nein, tut es nicht. Das funktioniert. Komischerweise. Aber…
Die Übertrager an sich sind in Ordnung (in diversen Foren wird darum ein Wahnsinns-Bohei gemacht…). Wie die es aber schaffen sollen, Infraschall (<16Hz) mit "full power" an die Lautsprecher zu schicken, ist mir ein Rätsel. Und bei Ultraschall wird es ab 50kHz eng.
Der Netztrafo sieht „bigger» aus, als er ist. Er stellt nur die Heizspannung und die Hochspannung für die Endröhren zur Verfügung. Die Röhren werden übrigens deutlich unterheizt (auch so eine Marotte aus den 1990’er). Nach etwa einer halben Stunde hört man den Netztrafo auch deutlich „murren». Er ist zwar für das 220V-Netz (!) vorgesehen, ob der Trafo aber mit der „hiesigen» 50Hz-Netzfrequenz (in Amerika 60Hz) zurecht kommt?
Klang-Doping
In den Schaltplänen der „dicken» Monoblöcke findet sich ein Boucherot-Filter welches als Klang-Doping dient. Ich habe die Werte versuchsweise mal 1:1 übernommen und nach kurzem Testhören sofort korrigiert. Too much Wumms. War Ende der 1980’er Jahren nicht der Bodybuilding-Kult? Klanglich entspricht das einen zehnjährigen Stereoid-Missbrauch – hier allerdings mit Sofortwirkung (der „wuchtige» Klang kommt also nicht „vom» Übertrager – auch wenn man das in diversen Foren so darstellt 😉 ).
Watt?
Können wir kurz machen: „Clippinggrenze» ist etwa 55 Watt an 8Ω (Sinus). Mit „Clipping» ist hier der Übergang von Sinus nach Rechteck gemeint (Ist nicht korrekt, ich weiss.)! Wenn man mit ge-rechteck-ten Signalen leben kann, dann ist tatsächlich noch mehr drin.
Rock’n’Roll
Die KT88 wurden auf sehr moderate 40mA Ruhestrom eingestellt. Dann durfte der Verstärker zeigen, was er so drauf hat.
Klack. Verstärker auf Stand-By geschaltet.
Klack. Power on.
Lautstärkeregler am Vorverstärker ganz leise gedreht.
T minus 10 seconds…
CD-Player gestartet.
Klack. Stand-By Schalter umgelegt…
Lautstärke „hoch» gedreht.
Ignition… and Lift-off!
’Tschuldigung, aber das muss man einfach zelebrieren.
Strike!
Der D-75A hört sich so an, wie er aussieht. Zugegeben, Optik ist Geschmackssache. Mit gefällt’s. Der „Klang» auch. Da ist mächtig „Dampf unter’m Kessel». Ganz ohne technische Tricksereien.
Aber: Es sollte aber wirklich über eine „Power On» Anzeige nachgedacht werden, damit man sehr deutlich sieht, ob der Verstärker „unter Dampf steht» oder nicht. Aus den Lautsprechern hört man nämlich, selbst bei offenen Eingängen, nichts (naja, kaum). Kaum Rauschen, kaum ein leises sirren oder brummen. (Fast) nichts. Um das zu hören, muss man sich anstrengen.
Tue ich aber nicht.
Völlig unangestrengt macht der D-75A einfach nur – Musik.
Very big.