Der MS30 von Yaqin schien ein alter Bekannter zu sein. Früher nannte er sich allerdings MC30, also mit einem C, wie Cäsar. Seine Besuche sind allerdings selten geworden. Nun also ein MS30. Mit einem S, wie Siegfried. Wie auch immer. Namen sind Schall und Rauch. Man findet sowieso immer das Gleiche.
Weil nämlich der MS30 mit genau der gleichen Röhrenbestückung daherkommt, wie der MC30. Und darauf liess sich schliessen, dass man eine Yaqin-typische Beschaltung vorfinden wird: Direkt am Eingang eine (verunglückte) SRPP, dann folgt der Phase-Splitter (Phasenumkehr) und dann kommen schon die Endröhren.
Das bekommt man auch, wenn man auf die etwas ungewöhnliche Röhrenbestückung des MC- oder MS30 trifft: Pro Kanal sitzen hier vier Pentödchen vom Type 6J1 (EF95, 6AK5). Im Triodenmodus beschaltet, müssen zwei Röhren für die SRPP und nochmals Zwei für den Phase-Splitter (Long Tailed Pair) herhalten. Kann man ja machen.
Nur nebenbei: Das SRPP-Gedöns wäre aber unnötig, wenn man die 6J1 (EF96) als Pentode beschalten würde. Dann kann sie die (verunglückte) SRPP locker ersetzen. Man gewinnt sogar und das bei geringeren Kosten. Oder man schielt einmal auf alte Dynacos, wenn man unbedingt vier Röhren einsetzen will…
Diese alten Yaqins… Ich habe sie, trotz derber Flüche und Verwünschungen, doch etwas lieb gewonnen. Besonders das manchmal wirklich lustige Paradoxon: Einerseits wird (unnötigerweise) geklotzt, was an anderer (wichtigerer) Stelle dann eingespart wird. Oder der Kabelverhau, bei dem man oft raten musste, ob eine Kabelfarbe nun Schaltungsmasse, Heizspannung oder die Versorgungsspannung führte…
MS30 / MS77
Dieser MS30 kommt nun optisch etwas aufgehübscht als ein MC30 daher (dachte ich). Nicht mehr so „kastig». Und er hat unterwegs von China nach Deutschland wohl einen mittelprächtigen Schlag abbekommen. Erkennbar an den Trafopötten, die nunmehr etwas windschief auf dem Gehäuse thronen.
Nicht nur aussen, auch im Inneren hat sich „etwas» getan. Etwas? Also bitte…
Das Layout der doppelseitigen Platine ist bei weitem nicht mehr so chaotisch geroutet. Keine Drahtbrücken, keine externen Kabelverbindungen – nichts. Die Bauteile einer Verstärkerstufe sind da, wo sie hingehören und nicht am „anderen Ende» der Platine. Verkabelung? Ordentlich. Alles wirkt aufgeräumter, sauberer. Fast schon steril…
Alles Picobello. Ich fasse es nicht. Ein bisschen wird das relativiert, wenn man hinter den Kulissen, d.h. unter der Platine, schaut… Und dann stutze ich.
Wieso sitzen in diesem MS30 vier Folienkondensatoren? Alles, was bisher auf der Werkbank stand, hatte nur drei Kondensatoren. Zwei Möglichkeiten: Entweder haben die bei Yaqin die Schaltung so richtig vermurkst, oder die haben sich was Neues einfallen lassen.
Für eine vermurkste Schaltung spricht der Grund, weshalb dieser MS30 überhaupt hier war: Im Bassbereich „nuschelte» der MS30 undeutlich herum. Auch fehlte es an „Esprit». Hm…
MS30-Reverse Engineering
Was bleibt übrig? Yaqin und Schaltpläne sind zwei Paar Schuhe. Yaqin und Reverse Engineering vertragen sich auch nur bedingt. Vertrugen, muss ich sagen. Die chaotische Leiterbahnführung mit Unmengen an Drahtbrücken ist hier ja nicht mehr zu finden.
Diese Folienkondensatoren… Schauen wir da doch einmal genauer hin… Ach, wat nett! Diesmal nicht die berüchtigten X2-Kondensatoren, sondern ganz „normales» MKP. Dazu auch noch spannungsfest. Später stellte sich heraus, dass der Kapazitätswert doch etwas üppig war…
Bevor ich mich aber von Bauteil zu Bauteil hangele, werden 15 Minuten für Recherche investiert. Fünfzehn Minuten für den MS30. Keinesfalls länger. Findet man innerhalb dieses Zeitraumes nichts, wird man auch nichts nach einer Stunde finden.
Fünf Minuten…
haben gereicht. In anderen Teilen der Welt nennt sich dieser Röhrenverstärker Yaqin MS77. Teilweise mit einer 7027B im „Faberge-Ei» Format, Gerüchteweise mit KT77 bestückt. Die vermeintliche 7027B entpuppte sich übrigens als eigenwillige 6L6GC – keinesfalls die begehrte 7027A! Egal. Den Schaltplan gibt’s dann einen Klick weiter…
Von wegen „vermurkst». Schon auf den ersten flüchtigen Blick sieht man es. Das ist nicht Yaqin-typisch. Auch, wenn alle Pentoden im Triodenmodus arbeiten – eine Schaltung fast nach „alter Väter Sitte». Jetzt wird’s mir aber so langsam unheimlich.
Wenn ich jetzt nicht bald was zu meckern finde, werde ich grantig. Und siehe da… Aha… Das kann man doch nehmen… Für „zum meckern», meine ich.
(An dieser Stelle stellen Sie sich bitte die Gesichtsakrobatik des Hotelportiers [Tim Curry] aus „Kevin – Allein in New York» vor…)