Unison Simply-845

Des Wahnsinns fette Beute

Eine Ahnung folgend wird das Hochspannungsnetzteil mit dem Voltmeter geprüft und siehe da, da war noch ordentlich Zunder drauf. Ein Entladewiderstand, der die gespeicherte Energie gegen Masse ableitet, hat man im Simply-845 also auch noch vergessen. Als Spannungsteiler fungieren ja in Sperrrichtung geschaltete Dioden und deren Entladewirkung ist gleich Null… Nett. Der Verstärker war übrigens seit Wochen „stromlos». Also, Entladewiderstand angeschlossen und in Ruhe die Spannung abbauen lassen… Erst dann konnte gefahrlos weitergearbeitet werden.

Es stellte sich heraus, dass sich nicht drei „Wahnsinns-Kapazitäten» – wie beim Smart845 – im Gehäuse verstecken, sondern sechs. Überhaupt hat man beim Simply-845 alle Kapazitäten verdoppelt. Weil das ja eine Stereokiste ist. Und hat damit dann sehr weit über’s Ziel hinaus geschossen. Was da schlimmstenfalls an Energie frei wird, will ich mir gar nicht ausmalen.

Und ich finde die in Sperrrichtung geschalteten Dioden. Es fehlen übrigens, anders als im Smart845-Plan, nette, „kleine» Folienkondensatoren., die die dicken Elko-Klötze „schneller» machen sollen. Ebenfalls „neu» ist die (nachträgliche) Absicherung der drei Stromkreise zur Erzeugung der jeweiligen Betriebsspannung. Das geht in Ordnung. Eine andere Schmelzsicherung warf allerdings – nur kurz – eine Frage auf. Nämlich folgende:

Unison hat doch nicht etwa…?

Unison hat. Im Hochspannungskreis (zur Erinnerung: rund 1000V) sitzt eine Feinsicherung aus der Haushaltsabteilung „250V/500mA Flink». Ohne Löschmittel! Normalerweise macht man sich darüber keine Gedanken, wenn man es nicht selber einmal erlebt hat.

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Wenn die Sicherung ihre Schutzfunktion wahrnimmt (Achtung: Auch Sicherungen werden mal müde und neigen zu Fehlalarm), kann folgendes passieren – und das mit einer 80%-tigen Wahrscheinlichkeit (also keine Märchenstunde):

Nun, bei dem (Original-) Energiegehalt der Siebkapazität (rund 700µF @ 1000V) kann es zu einem netten, kleinen Spannungsüberschlag bzw. Abreissfunken (weil kein Löschmittel im Glas) kommen, der den Hochspannungskreis eben nicht sofort stromlos macht (von den Teilspannungen mal ganz abgesehen). Das Glas der Sicherung wird dadurch überhitzt, mit einem dezenten Knall zerspringen und sich – grob pulverisiert – überall hin verteilen.

Bis der Überschlagsfunke dann – hoffentlich jetzt schnell – verlischt, wird es also noch etwas weiter brutzeln und schmoren. Im schlimmstenfall gibt’s noch einen Überschlag zwischen den Kontakten des Sicherungshalters… Irgendwann ist der Verstärker dann endlich „ohne Strom» und dann wird man staunend begutachten dürfen, was wild gewordene eintausend Volt anrichten konnten…

Wenn man die restlichen 20% als Glücksfall erwischt und die Sicherung brennt – ohne Kolletaralschaden und Rauchspektakel- einfach nur durch, dann sollte man gar nicht erst auf den Gedanken kommen, „mal eben» die Sicherung zu wechseln. Das könnte zu Lebzeiten dann der letzte Versuch gewesen sein… Auch wenn (im Originalzustand) kaum noch 1000V mehr anliegen (sollten) – da lauert noch die SRPP-Teilspannung von gut und gerne 600V (@ 1000µF). Und das wochenlang.

Trotz der niedlichen Unison-typischen Zier-Schrift ist die Warnung auf der Bodenplatte ernst zu nehmen! Ich hätte ja einen Totenkopf draufgemalt.

Kurz & gut: Da gehört eine entsprechende 1000V-Sicherung hinein. Mit Löschmittel. Aus. Fertig.

Na dann wollen wir mal…

Die Kabel mit der Farbschmiere müssen ’raus und ersetzt werden. Danach Werkzeug reinigen.

Netzteilplatine genauer angeschaut. Ich gebe zu, das ist ein Tick von mir… Irgendetwas machte mich stutzig… Zurecht, wie sich herausstellte. Das Netzteil ist in „meinem» Simply-845 geringfügig anders gestaltet. Wie auch immer: Es ist zunächst „entschlacken» angesagt und besonders den dicken Elkoklötzen einen nennenswerten Folienkondensator zur Seite zu stellen. Die „Spannungsteiler-Dioden» werden durch blöde Widerstände ersetzt. Jetzt bekommen die Kondensatoren ganz sicher nur ihre zugewiesene Spannung und das Netzteil ist nach dem Abschalten innerhalb von etwa zweieinhalb Stunden „handzahm».

Die aufgeblähten Elkos im Heizkreis der 845 erweisen sich zunächst als Theater. Lediglich die schwarze Schutzkappe, die die Sollbruchstelle abdeckt, war gewölbt. Das ist vermutlich den Temperaturen und dem Alter des Kunststoffes geschuldet. Bei Überprüfung der Elkos war dann aber festzustellen, dass „frisch und gesund» messtechnisch anders aussieht. Ein Ersatz wäre also sowieso irgendwann fällig gewesen. Die Gleichrichter werden auch sofort ersetzt. Das Monster will ich so bald nicht mehr heben (wuchten, asten hieven…) müssen.

Beim entlöten der Bauteile stellt sich heraus, dass sich die Leiterbahn auf diesem Platinchen (und auch auf der Netzteilplatine) sehr leicht vom Trägermaterial ablöst. Gerade durch diese Leiterbahnen fliessen aber hohe Ströme. Also, Platine säubern, den Lötstopplack abkratzen (geht erstaunlich einfach) und besonders die Bahnen für die Heizspannung der 845 „verstärken».

Wann ich das zum letzten Mal gemacht habe, weiss ich nicht mehr. Ich glaube, da lebte Elvis Presley noch…

Vorstufe der Simply-845

Wie bereits erwähnt, ist die Vorstufe langweilig. Es gibt hier eigentlich auch nicht viel zu tun. Die „Fehlerchen» aus dem Smart845-Schaltplan sind im Simply-845 nicht oder nur teilweise zu finden. Dafür eine nette, kleine Masse-Schleife und – bezogen auf die Versorgungsspannung – „etwas» unterdimensionierte Koppelkondensatoren.

Also lassen wir die SRPP-Trioden (ECC83 und ECC82) in Ruhe und sorgen nur dafür, dass das Klangbild nicht mehr so antiseptisch klingt. Vor allem wird den beiden Triodenstufen das „Brüllen» abgewöhnt.

Für etwas mehr Röhrenklang im Simply-845 sorgen nun Kohleschicht- und Carbon-Composit Widerstände. Für das „Timbre» sorgt ein Trick, den ich mir aus der 300B-Schaltung entleihe. Das funktioniert hier überaus prima.

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Ich gebe zu, dass ich ein grosser Fan einer dezent wirkenden Gegenkopplung bin. In diesem Simply-845 war die Gegenkopplung selbst mir dann doch etwas zu dezent. Da darf ruhig etwas mehr sein. An Gegenkopplung, meine ich. Aber auch nicht soviel, wie es in einer anderen Smart845-Modifikation erwähnt wird.

Der 10Ω-Widerstand, der eine Erdschleife in Verbindung mit der externen Phonostufe verhindern soll, wird „deaktiviert». Das ist mit hier zu heikel.

Ach ja: An den seitlichen Kühltippen sind die Kathodenwiderstände der 845 angebracht. Parallel dazu je ein Drahtwiderstand. Beide Widerstände werden im Betrieb – Class-A typisch – hübsch warm. Eine gewisse „Umluft-Funktion» ist daher nicht falsch.

Ratio contra High-End

Es ist nicht ratsam, einen Class-A Röhrenverstärker den ganzen Tag „rennen» zu lassen. Dafür sind diese Verstärker nicht gedacht. Es ist auch nicht ratsam, einen derartigen Röhrenverstärker ohne Aufsicht vor sich hin glühen zu lassen. Das verkürzt (nicht nur) die Lebensdauer der Röhren erheblich. Gerade solche Trioden wie 845 oder 211 können durchaus zu nicht erwünschten Spontanreaktionen neigen…

Auch benötigen derartige Trioden keine lange Aufwärmzeit, bis sie „klingt». Die ist dafür gemacht (Thoriumisierte Glühkathode), innerhalb von etwa fünf Sekunden voll da zu sein. Anders sieht das mit der Vorstufe aus. Im jetzigen Simply-845 vielleicht rund zwei Minuten, bis die Bauteile „Klangtemperatur» bekommen.

Im Simply-845 gehören „starke» 845-Flaschen, also ausgemessene 845-B Röhren. Messwert je Röhre mindestens 100mA.

Und noch etwas: Class-A Röhrenverstärker – und ganz besonders dieses Monster – gehören regelmäßig auf den Prüfstand. Das kostet natürlich etwas Geld. Was diesen Single-Ended betrifft, ist mit einem kleinen Aufschlag zu rechnen: Gefahrenzulage wegen Gewicht…

War da noch was?

Achja, der Klang. Kann ich kurz machen. Der Klang ist wie das Gewicht: Da ist jetzt richtig fettarmes Fleisch am Knochen. Ohne nervende Höhen oder rumsige Bässe. Und er ist nun etwas „zackiger» und akzentuierter unterwegs. Kann durchaus bezaubern.


Nachtrag 24.12.2018

Wo ist die Kundenmeinung? Nun, die ist etwas umfangreicher ausgefallen und nicht so ohne weiteres Eins-zu-eins zu zitieren. Im Endeffekt bleibt ein überaus zufriedener Kunde, der nur noch das Problem mit seinem begehbaren Bassverstärker beheben muss.

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen.Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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