Kamikaze-Tuning
Ich habe mit allem gerechnet. Nur nicht mit einer potentiellen Bombe. In dieser „Back-Box befanden sich nämlich zwanzig (!) Elkos mit je einer Kapazität von 470µF.
Wahrscheinlich sind je zwei davon in Reihe geschaltet, um die Spannungsfestigkeit zu verdoppeln. Ja, am Arsch! Alle Elkos waren mit 500V Spannungsfest. Alle Elkos liegen demnach parallel. Das macht eine Gesamtkapazität von sage und schreibe 9.400µF. Das kann man auch auf 10.000µF aufrunden. Die 600µF-Differenz macht den Braten auch nicht mehr fett.
Für einen popeligen Röhrengegentakter der unteren Leistungsklasse (max. 50W/Kanal), wohlgemerkt!
Schnell mal eben den Energiegehalt dieses Kapazitätsmonsters ausgerechnet, wobei ich eine Spannung von 430V zugrunde lege. Also, diese Mörderbox stellt eine Energie in Höhe von knapp 870 Joule zur Verfügung. Mindestens! Würde ich jetzt noch die im Röhrenverstärker verbauten Kapazitäten hinzuaddieren, käme ich auf über 1.500 Joule. Aber ich tue’s ja nicht…
Es ist zwanzig nach 3
Ich muss Luft holen und pfeife auf die „Kein Bier vor vier“-Regel…
Dafür war also der Timer im Verstärker gut. Würde diese Kapazität sofort beim Einschalten des Verstärkers wirksam werden, dann sieht der Netztrafo zunächst einen Kurzschluss. Im besten Fall haut’s nur die Schmelzsicherung weg oder im Haus gehen sofort die Lichter aus. Wenn es allerdings ganz doof kommt, dann erlebt man die gespeicherte Energie am eigenen Leib. Mit ziemlicher Sicherheit war’s das letzte Erlebnis…
Entladungsunfälle passieren immer wieder. Da kann sich keiner von frei sprechen, der in der Elektronik zuhause ist. Selbst ein auf 400V aufgeladener 100µF Kondensator kann schon sehr derbe zubeissen (8 Joule Energie). Danach will man gar nicht noch mehr Joule kennenlernen…
Derjenige, der diese überwertige Idee hatte, möge in mein Büro kommen. Ich hätte da was zu bereden… Also wirklich, das hat ja noch nicht einmal David Manley zu seinen Glanzzeiten riskiert… Im Original-Verstärker liegt man übrigens bei „nur“ rund 30 Joule.
Mindestens 870 Joule! Ein Allerwelts-Defibrilator leistet – zum Vergleich – maximal „nur“ 360 Joule. Ein Weidenzaun liefert „nur“ etwa 5 Joule und wohl jeder Mann (Frau eher unwahrscheinlich) mit angefeuchtetem Innenleben, der schon mal eine Kuh hat weiden gesehen, weiss ein Lied davon zu singen, was 5 Joule am Willi bedeuten.
Wer immer das verkackt hat:
Seid Ihr / Bist Du eigentlich nur noch bescheuert?
Ihr könnt / Du kannst doch wirklich nicht mehr ganz frisch sein!?
Ab 350 Joule elektrische Energie gelten übrigens spezielle Sicherheitsmaßnahmen und Arbeiten sind nur von Fachkräften durchzuführen, der ich in diesem Fall nicht bin. Die Mörderbox wird also wieder zugeschraubt und ganz weit weggestellt – dahin wo ich sie nicht sehe. Wäre dieser Verstärker samt Mörderbox eine Automobil, der TüV hätte das Teil sofort stillgelegt und der KFZ-Halter hätte mit einem Bußgeld nebst Punkte-Gutschrift zu rechnen.
Das zum Thema „fachmännisches“ Tuning.
Fortsetzung folgt.
Hinweis
Diese Bestandsaufnahme hätte ich mir, dem Jetzt- und dem Vor-Besitzer erspart. Wahrscheinlich wusste der Vor-Besitzer nichts von diesem Scheiss. Ich habe mich dazu entschlossen, diesen Artikel keinesfalls Bestandteil irgendwelcher juristischen Zwistigkeiten machen zu lassen.