Phono mit Fernseher-Röhren (P-Röhren)

Anno Domini 2016.

Aktive vs. passive Entzerrung

Über die Art der Entzerrung braucht man sich nicht zu streiten. Beide Varianten haben Vor- und Nachteile. Ich gebe zu, dass ich eher ein Fan der passiven Entzerrung bin. Hier spiele ich aber allen Ernstes mit der „aktiven Entzerrung», weil passiv und hohe Verstärkung nicht in mein restliches „Gesamtkunstwerk» zu passen scheinen.
Kompromiss Nummer Zwei.(?)

Klanglich kann man die passive Entzerrung vielleicht (!) mit „weicher» beschreiben. Aber auch mit „Just in Time» – das Signal muss durch den Filter. Das allerdings geht naturgemäß nicht ohne Verluste. Die erste Röhrenstufe muss schon sehr hoch verstärken, damit die zweite Röhrenstufe bestenfalls nur die Verluste ausgleichen muss. Nachteilig ist, dass, je höher die Verstärkung (besonders der ersten Stufe) ist, desto höher auch der Klirrfaktor der Röhre. Die passive Entzerrung neigt ausserdem (aus mehreren Gründen fast schon zwangsläufig) zu „Ungenauigkeiten» – ein Abweichung von etwa ±1,5dB ist, mit „normalem» Bauteilaufwand, schon gut.

Die aktive Entzerrung klingt vielleicht (!) „analytischer», „neutraler». Die Entzerrung erfolgt über eine frequenzabhängige Gegenkopplung. Nachteilig ist allerdings, dass die Gegenkopplung immer „zu spät» kommt. Je mehr Verstärkerstufen die Gegenkopplung „überspringen» muss, desto „schlechter». Scheinbar. Dieser theoretische „Knackpunkt» ist ein beliebtes Reizthema – nicht nur bei Phono-Vorverstärker. Ein Riesenvorteil bleibt: Die Entzerrung geht nicht mit so hohen Verlusten einher und ist, wenn einigermaßen exakt dimensioniert, genauer. Eine Abweichung von unter ±1dB ist leicht – mit handelsüblichen Bauteilwerten – machbar. Es gibt bei der aktiven Entzerrung zwei Wege, die man gehen kann: Eine „Über-alles-Gegenkopplung» vom Ausgang des Verstärkers an die Kathode der ersten Röhre und eine Gegenkopplung vom Ausgang der ersten Röhre auf das Steuergitter derselben Röhre.

Man kann aber nicht pauschal sagen, welche Entzerrung die Beste ist. Es kommt immer auf den „Zusammenhang» an (vor allem auf die richtige Eingangsimpedanz des Verstärkers). Auch kann sich in einem (niederohmigen) Halbleiterverstärker die passive Entzerrung wesentlich besser darstellen, als in einer (hochohmigen) Röhrenschaltung (die SRPP ist hierbei die Ausnahme – da darf muss man passiv entzerren).

Um auf dem Boden der Tatsache zu bleiben: Gerade im Selbstbau-Bereich herrschen alte, restaurierte Plattenspieler vor. Man kann die Abweichung mit erheblichen Aufwand (vor allem Messorgie) auf ±0,2dB drücken, oder aber Fünfe mit ±1dB gerade sein lassen, weil es sich so mit dem Dual-, Lenco-, Thorens- oder Technics-Plattenspieler einfach gut anhört (Darauf kommt es an. Hat man schon früher erkannt).

Anmerkung zum Frequenzgang: Auch wenn die HiFi-Norm 20Hz bis 20kHz besagt – das sollten wir bei Phono nicht ganz so ernst sehen. Ich kenne keine Schallplatte, die tiefere Frequenzen als 40Hz und höhere Frequenzen als 15kHz in der Rille trägt. Eine -3dB Abschwächung bei etwa 40Hz und etwa 15kHz tut dem Klanggenuss nicht weh und sparen uns so nebenbei den „Rumpelfilter». 😉

Entzerrerkurven

Es gibt verschiedene Entzerrerkurven: CCIR, Decca, AES, Columbia, EMI, NAB, RIAA und was weiss ich nicht noch alles.
Damit will ich mich nicht beschäftigen und lege „meinen» Phono-Pre auf die RIAA-Entzerrerkurve fest. Auch wenn ich Schallplatten besitze, die garantiert nach einer anderen Norm „geschnitten» wurde. Bruce Springsteens Longplayer „Born to run» (CBS von 1975) ist zB. so ein Fall. Blöd ist nur – ich weiss nicht welche. Trotzdem – ich will daraus keine Wissenschaft machen.

Es ist übrigens mit der aktiven Entzerrung wesentlich leichter möglich, auf die verschiedenen Entzerrerfilter umzuschalten. Wer so etwas benötigt, kommt um einen aktiven Entzerrer nicht drumherum.

Über die Präzision des Entzerrerfilters (unerheblich, ob aktiv oder passiv entzerrt wird) wird in der Röhrentechnik viel diskutiert. Maßgeblich hierfür verantwortlich ist die Ausgangsimpedanz ZOut der ersten Röhrenstufe und fliesst unmittelbar in die „Wirkung» des eigentlichen Filters ein. Die, eine zeitlang, sehr modernen (alten) LCR-Entzerrer (also mit „Spülchen» im Filter) versuchten die ZOut-Problematik zu umgehen. Susuma Sakuma ist wohl der bekannteste Vertreter der Neuzeit für derartige LCR-Entzerrer.

Kleiner Zeitsprung: Just zu dem Zeitpunkt, als der Lötkolben aufgeheizt wurde, fiel mir eine „Selbstbau»-Lösung in die Finger, die es in sich hat. Der Bastler kommentierte seine (überaus interessante) Lösung sinngemäß mit „Das Gewürge um ZOut mache ich nicht mit. Man kann den Entzerrer auch direkt als Arbeitswiderstand (Anodenwiderstand) einbauen. Bei dem ’brutalen‘ Ausgangspegel einer hoch verstärkenden Pentode kann man sich sogar erlauben, die Pentode als Triode zu beschalten. Das bringt zwar etwas ’Leistungsverluste‘ (auch wegen des Anodenwiderstandes, der ja die Verstärkung mitbestimt), aber auch weniger Pentodenrauschen und k3

In Millivolt ausgedrückt heisst das: Bei 5mV Input, 600mV output. Mit einer (1) Pentode. 1kHz-Sinus. Nachteil: Eine gedrehte Phasenlage am Ausgang. Aus der Nummer käme man schnell und preiswert mit einem 1:1 Übertrager heraus, den man sekundärseitig „falsch» herum anschliesst, was den unschätzbaren Vorteil hat, dass man garantiert keine Mass- / Erd-Schleife „produziert». Das Signal wird nur etwas „k3-lastig» wird (auch ein Übertrager produziert Klirrfaktor).

diskret-phono

Vorteile: Keine („verspätete») Signal-Gegenkopplung (an sich) und trotzdem ein „Just in time» Filter. Quasi eine Symbiose aus aktiver und passiver Entzerrung. Die Idee finde ich gut, setzt man dieses Prinzip doch auch in anderen Bereichen ein, wenn man ein bisschen klanglich herumtricksen will / muss.

Ja, ich weiss, dass man in der Röhrenverstärker-Technik manchmal das Rad neu erfindet, um nach einer kurzen Hype schnell wieder vergessen zu werden. Aber diese Idee hat was.

Dabei ist diese Idee gar nicht so neu (Ach, was?). Wayne Stegall bezeichnete diese Art der Entzerrung als „Discret». Auch wenn er hier „nur» Halbleiter nutzt. Im „diskreten» Fall ein FET-Transistor. Dieser Begriff ist allerdings etwas irreführend… Wie auch immer, es ist und bleibt eine passive Entzerrung. Sie liegt jedoch nicht im Signalweg…

Phono mit Pentode

Eingangsseitig erwähnte ich ja die Pentode. Wenn man eine hohe Verstärkung – ohne SRPP – realisieren will, dann kommt man um eine Pentode nicht drumherum. Und was gibt es im NF-Bereich als „gute» Pentode? Natürlich die EF86. Und damit ist man schnell bei alten Mullard-Schaltungen. „Nachteil»: Fast alle Phono-Pre’s entzerren aktiv. Fast alle Schaltungen sind (für heutige Anfoderungen) zu hochohmig. Dazu sind viele Schaltungen auch aus dem „Zusammenhang» gerissen. Sie waren meist Teil eines kompletten Vorverstärkers. Wichtig: Eine Röhrenstufe reicht zwar für eine Verstärkung von nahezu 45dB, aber sie bietet das Ausgangssignal mit gedrehter Phase an. Mit einer EF86 (oder ähnlichen) könnte man etwas machen. Leider fällt sie aus dem Rennen… Allein wegen der Sache mit dem Preis. Von den sogenannten Langlebe- oder Militärversionen brauchen man gar nicht erst anfangen zu reden.

Pentoden gelten, wie die P-Röhren, ja als böse, weil die Rauschen sollen. Ja, sie neigen zum Rauschen. Und sie produzieren „bitterböses» k3. Ich weiss nicht, was andere machen – ich beschäftige mich nicht damit (Trioden können auch wie ein Wasserfall rauschen). In unserem HiFi-Frequenzbereich (20Hz bis 20kHz) muss man sich „nur» das „richtige» Pentodensystem aussuchen und fertig ist die Laube. Und die ungradzahligen Oberwellen können wir uns zunutze machen, um einen „hübsch» klingenden Verstärker aufzubauen. Ich mag diese Trioden-Dominanz nicht.

Und jetzt kommen wir langsam zu den Fernseher-Röhren. Man kennt das ja. Da sucht man im Netz nach etwas anderem und findet auf einmal was? Richtig. Einen „Leidensgenossen», der schon 2013 auf genau die gleiche Idee gekommen ist, wie ich 2016: Phono-Pre mit Fernseher-Röhre (Singular, nicht Plural).

Zumindest die Pentoden-/Triodenkombi ist eine typische Fernseher-Röhre. Die Pentode wurde oft als „Mischer» oder Oszillator und die „integrierte Triode» oft als Reaktanzverstärker beschaltet. So etwas geht nur, wenn die Röhrensysteme nicht schon von sich aus übermäßig „Signalabfälle» (Rauschen, Oberwellen) produzieren. Fast ideal. Der Pentodenteil im Eingang verstärkt zunächst sehr hoch. Dann wird das Signal in den passiven Entzerrer-Filter geschickt. Über den kleinen Koppelkondensator gelangt das Signal zu einer Röhren, die keine Fernseher-Röhre ist – aber gnadenlos hoch verstärkt. Der Triodenteil der Kombiröhre wird, wegen des geringen Verstärkungsfaktors „nur» als Impedanzwandler geschaltet. Die Verstärkung wird mit 250-fach angegeben.

Das ist… fast perfekt.

mmpre01

Das geht aber noch besser. Mit 100% Fernseher-Röhren.

frihu

…hört gerne Musik. Über Röhrenverstärker. Musikrichtung egal. Ausser Jazz, Hip-Hop, House, Metal, Trash, Schlager, Volksmusik, Gangsta-Rap (noch schlimmer, wenn in Deutsch gebrüllt). Da krieg' ich ein Hörnchen.Autor der Bücher: Hören mit Röhren, Röhrenschaltungen und High-End Röhrenschaltungen. Artikel in hifi-tunes (Röhrenbuch 2): Bauteileauswahl für Röhrenverstärker und EL509 Single-Ended Röhrenverstärker im Selbstbau

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