Gibt es einen Preisvorteil beim Selbstbau von Röhrenverstärker? Radio-Eriwan: Im Prinzip ja. Wenn man bereits das dazugehörige Equipment, Grundlagenwissen, etwas Know-How und Zeit hat. Fehlt nur eines dieser Dinge, sollte man den Selbstbau selbstkritisch überdenken. „Mal eben» einen Röhrenverstärker aufbauen geht meistens gründlich schief. Und sei es nur, dass man eine „wackelige» Masseverbindung verbaut, die zu einem unausrottbaren Brummen führt. Von einigen wichtigen Sicherheitsaspekten einmal ganz abgesehen.
Die preiswerten Fernost-Röhrenverstärker haben die Preislatte ziemlich tief gelegt. Nicht weil die Bauelemente „drüben» so billig sind, sondern weil der Wechselkurs (also Geld oder Knete, Asche, Kies) künstlich niedrig gehalten wurde. Dass die Bauteilqualität manchmal doch sehr fragwürdig war (ist), hat sich inzwischen hoffentlich herumgesprochen. Dazu kommen die Arbeitsbedingungen der fleissigen Hände, die die akustische Begierde zusammenschustern sollen. Der Transport ist oftmals teuerer, als der Verstärker selber. Das hat lange Zeit gut funktioniert und so mancher Importeuer hat gute Geschäfte gemacht. Nix dagegen. Um es nochmals zu betonen: You get, what you pay for. Und die fernöstlichen Hersteller haben wirklich jedes Preissegment bedient. Die sind ja auch nicht doof.
Jetzt hat man an der Wechselkursschraube gedreht und prompt ist es vorbei mit der Herrlichkeit. Pro Woche bekomme ich derzeit mindestens zwei Telefonanrufe (!) von Fernost-Firmen, die händeringend neue Absatzwege suchen.
Es gibt auch tatsächlich Zeitgenossen, die für einen vernünftig aufgebauten Röhrenverstärker nur etwa 800 Euro hinlegen wollen. Im Selbstbau darf es nicht mehr kosten und wenn, dann muss der Röhrenverstärker mindestens 800 Watt pro Kanal liefern können. Das sind die, die die Preise für ein Voll-Metallchassis nicht kennen. Ich bekomme da jedesmal ein Hörnchen…
Also doch Selbstbau?
Rechnen Sie selber:
1. Equipment
Werkzeuge und besonders ein Lötkolben müssen angeschafft werden. Brauchbares und preiswertes Werkzeug bekommt man im Baumarkt. Aber einen geeigneten Lötkolben? Das, was in derartigen Märkten zu finden ist, ist höchstens als Notfallinstrument zu gebrauchen. Davon habe ich auch zwei Stück gebunkert. Lötzinn? Das „gute» Nicht-RöHS-konforme Lötzinn gibt es zwar noch, man muss aber – besonders für kleinere Mengen – etwas länger suchen. Und mit „klein» meine ich die 250g-Rolle. Das Lötzinn aus dem Baumarkt taugt nichts. Auch wenn da „Radio-Lot» drauf steht.
Messgeräte. Ein Röhrenverstärker-Selbstbau ohne Messgeräte ist wie Autobahnfahren in entgegengesetzter Richtung und mit verbundenen Augen. Die billigen Zwanzig-Euro Multimessgeräte eignen sich nur für einfache Messaufgaben: Ruhestromabgleich, Wiederstandsmessung oder als Durchgangsprüfer. Sobald mehr wie 100 Volt Spannungen zu messen sind, sollte man andere Sicherheitskriterien den Vorang gegenüber dem Preis geben. Und dann kostet so ein Messgerät locker einhundert Euro und mehr. Ach ja, man sollte bereits wissen, was man wie misst, um keinen Mist zu messen.
Damit kommt man schon recht weit, wenn man noch ein paar Formeln bereit hält: Prinzipiell kommt man mit dem ohmschen Gesetz schon sehr weit. Doch bringt der selbstgebaute Verstärker tatsächlich das, was er, dem Schaltplan nach, auch leisten sollte?
Dann ist zumindest ein Signalgenerator erforderlich, der einen möglichst sauberen Sinus, in definierter Spannungsamplitude, produzieren kann. Ein (mindestens) 100W-Lastwiderstand (beziehungsweise zwei Widerstände), die dem Übertrager eine 4Ω- oder 8Ω-Lautsprecherlast vorgaukeln. Bei der Spannungsmessung muss nun auch ein Messgerät eingesetzt werden, der das Ein-Kilohertz Sinussignal auch tatsächlich richtig messen kann. Viele preisgünstige Messgeräte schaffen das nicht. Da ist spätestens bei 400Hz Schluss.
Jetzt benötigt man noch eine Formel. Wenn dann die Schaltplan-Angaben mit dem Ergebnis der Formel ziemlich übereinstimmt, sollte es eigentlich passen. Ein billiges Stromverbrauchs-Messgerät wäre auch sinnvoll. Hier reicht wirklich ein Schätzeisen. Zieht sich der 10W-Verstärker beispielsweise 200 Watt aus der Steckdose, darf man davon ausgehen, dass da etwas nicht stimmt.
Ein Oszilloskop (gute Gebrauchte gibt es auf E-Bay) muss dann her, wenn der Verstärker irgendwie nicht klingen will. Mit dem Oszilloskop kommt man dem Fehler schneller auf die Spur, als mit der „Try-and-Error»-Methode. Das, was der Oskar am Bildschirm anzeigt, muss man allerdings auch richtig interpretieren können.
Ein entsprechend belastbarer und regelbarer Trenntrafo ist das Sahnehäubchen. Damit kann man den Verstärker langsam hochfahren und alle Versprgungsspannungen durchmessen. Viele Selbstbau-Fehler lassen sich so, ohne Gefahr, bereits aufspüren. Ein Elko, der falsch eingebaut wurde, zeigt unter voller Spannung sehr schnell seinen Unmut.
2. Bauteile
Mancher angehender Selbstbauer denkt, das man mit einem Komplett-Bausatz „bedient» ist. In der Röhrentechnik funktioniert das selten. Eine gewisse Bevorratung von Bauteilen ist Gold wert. Irgendwann kommt man nämlich die Lage, ein simples Bauteil ersetzen zu müssen – entweder durch Parallelschaltung oder durch Serienschaltung. Nicht zuletzt auch deshalb, um den Röhrenverstärker an die persönlichen Erfordernisse anpassen zu können. Das kann kein Bausatzhändler vorher abschätzen.
Die Bauteile sind seit der Finanzkrise (2007) nicht nur teuer geworden, sondern teilweise auch nicht mehr verfügbar. Als die Wirtschaft seinerzeit darnieder lag, hätte man mit 4W-100kΩ-Widerstände reich werden können. Die gab es, in dieser Bauform, schlichtweg überhaupt nicht mehr. Auch von grossen, namhaften, Firmen gab es verzweifelte Anfragen nach fünfzig bis hundert Stück. Wer jedoch etwas vom Hersteller haben wollte, musste eine riesige Stückzahl, bei Vorkasse, abnehmen. Das hat „damals» keiner riskiert. Vor der Krise kostete dieser Widerstand vielleicht 25 Cent. Heute deutlich über 55 Cent und nur bei Abnahme in grösseren Mengen.
Mit den Elkos ist es noch schlimmer. Gab es vor 15 Jahren noch „richtige» Elkos mit 500V-Spannungsfestigkeit, wird es heute eng in diesem Segment. Das, was man bekommt, sind Miniatur-Bauelemente bei denen das Elektrolyt ausgetauscht wurde und demnach auch ein anderes „Verhalten» an den Tag legen. Aus den Datenblättern geht das so nicht unbedingt hervor. Gut dran ist der, der sich damals mit „richtigen» Elkos gut eingedeckt hatte.
3. Verbrauchsmaterialien
Dazu gehört ganz besonders das Kabelgedöns. Für den Röhrenverstärker-Selbstbau wird entsprechende Litze verwendet. Und das nicht nur in einer Farbe, sondern in mehreren Farben, je nach Anwendung. Mal eben zwei Meter Schaltungslitze ordern? Wieviel Mindermengenzuschlag sind Sie bereit zu zahlen? Das geht nur Rollenweise ab 20 bis 50 Meter.
Dazu kommen die Batterien für die Messinstrumente, die natürlich wann leergesaugt sind? Natürlich an Sonn- und Feiertagen. Genauso wie die Schmelzsicherungen, die auch vorzugsweise an diesen Tagen durchbrennen.
4. Know-How
Wer einen Röhrenverstärker selber zusammenbauen will, braucht Erfahrung, Improvisationstalent und zumindest rundimentäre mechanische Fertigkeiten wie „mal eben» ein 10mm Loch etwas zu vergrössern, damit die Röhrenfassung in das Loch passt. Literatur gehört ebenfalls zu Know-How. Man muss nicht alles wissen – man muss nur wissen, wo es steht.
Natürlich Selbstbau!
Das macht Spass. Man lernt etwas und – ganz wichtig – kann man sich seinen Röhrenverstärker so zusammenbauen, wie man es will. Und vor allen Dingen mit Röhren, die für HiFi „gar nicht» geeignet sind, aber spottbillig zu haben sind.
Natürlich Selbstbau. Aber, wenn man damit anfängt, dann sucht man sich erst ein einfaches Selbstbau-Projekt aus und lernt daraus. Klar kostet das. Wer hat je behauptet, dass so ein Hobby kostengünstig sei? Sich als Anfänger sofort an einen 50W-Verstärker zu wagen, ist mutig. Kann sein, dass Sie mit Anfängerglück den richtigen Schaltplan herausgepickt haben und der Aufbau auf Anhieb gelingt. Kann alles sein. Es kann auch sein, dass die Schaltung in Rauch aufgeht, weil im Plan eine Diode falsch herum eingezeichnet ist oder ein Widerstandswert falsch dimensioniert wurde. Aus 100 kΩ wird nur allzu leicht 100 Ω. Und Sie wissen natürlich, wie man dem Brumm begegnet, der in Anhängigkeit des Lautstärkereglers mal lauter oder leiser wird…
Seien Sie Selbstkritisch. Wenn man über 10 Jahre herumgebastelt hat, dann erst wird der nächste Röhrenverstärker ein Low-Cost Projekt. Weil man nämlich mit der Zeit soviel Sachen „gebunkert» hat, dass man aus den Vollen schöpfen kann.
Preiswerte Röhrenverstärker-Selbstbauprojekte? HiFi?
Aber ja. Gibt es demnächst in diesem Sonnensystem. Vielleicht reicht das ja auch schon.