Röhrenverstärker mit Philosophie zu verbinden ist so abwegig nicht. Denn, wer mit Röhrenverstärker hört, hat seine eigene Philosophie von HiFi und wie HiFi zu klingen hat. Auch wenn man mit Röhre Musik hört, gibt es doch unterschiedliche Ansichten, wie das mit der Röhre zu klingen hat. Die Einen wollen den „warmen» Klang, die anderen wollen das Röhrenglühen und Leistung. Letzteres hat mit „Wärme» nur dahingend etwas zu tun, dass der Verstärker bzw. die Röhren, warm werden.
Nun habe ich ja das Glück, dass ich Röhrenverstärker aus ganz verschiedenen Epochen auf meiner Werkbank begrüssen durfte und darf. Machmal zur Wartung, machmals zur Überarbeitung, machmal um den wirtschaftlichen Totalschaden zu dokumentieren.
Anhand der Röhrenschaltung traue ich mir mittlerweile auch zu, ungefähr das Jahrzehnt der „Entstehung» und der dahinterstehenden Philosophie abschätzen zu können. Die Verwendung von bestimmten Bauteilen hilft mir natürlich dabei. Spätestens ab dem Millenium-Jahr waren beispielsweise zwei Watt Kohleschichtwiderstände nur noch in hömoöpathischen Dosen zu finden. Wenn überhaupt.
Röhrenverstärker aus den 1970’er Jahren waren zB. noch nach guter alter Väter Sitte aufgebaut. „Schaltungsfehler» (aus den 1950’er Jahren) hatte man früh erkannt und für untauglich befunden. Aber, je mehr man in den 1980’er Jahren eintaucht, desto mehr wurden die Verstärker mit allerlei „Krimskrams» ausgestattet. Auch mit den untauglichen „Schaltungsfehlern».
Der Höhepunkt wurde in den 1990’er Jahren erreicht: Allerlei „neue» Schaltungstechniken wurden „herbeigezaubert» und, als krönender Abschluss, die Röhren mit Halbleiter verheiratet. Alles mit dem Ziel, die Röhren unter Kontrolle zu bekommen. Alles, was nicht HiFi-gemäß zu sein hatte, wurde (mehr oder weniger gekonnt) eliminiert. Zum Schluss klang der Röhrenverstärker nur noch wie ein schlechter Transistorverstärker. Alles, was noch an Röhre erinnerte, war das Glühen des Heizfadens. Diese Schaltungs- und Klangphilosophie hat der Röhrentechnik sehr geschadet. Davon erholt hat sie sich bis heute nicht.
Die wilden Neunziger
Bezüglich HiFi und High-End waren die 1990’er Jahre ein „spezielles» Jahrzehnt. Röhrentechnisch gesehen gab es nichts Neues mehr. Alle Erfindungen waren bereits gemacht. Oft genug wurde der Wein nur in neue Schläuche gefüllt und mit gewagten Verkaufsargumenten angepriesen. Wenn man sich die Verkaufsprospekte und die damalige Werbung anschaut, könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass High-End (nicht schnödes HiFi) nur mit Röhre möglich gewesen sein soll.
So manche krude Behauptung würde heute den Verbraucherschutz auf den Plan rufen. Interessant war aber die Philosophie von so manchem (deutschem) Hersteller, wonach sich alles dem Klang zu unterwerfen hatte. Klang, wohlgemerkt. Zur Not (weil es brummte) wurde da auch schon mal der Schutzleiteranschluss ausser Funktion gesetzt. Eine Gegenkopplung, die an mehreren Stellen eines Verstärker wirkt, kommt ebenfalls aus diesem Jahrzehnt. Verkaufstechnisch gab es keine HiFi-Philosophie mehr. Die einzigste Philosophie galt dem Geld. Dem schlichten Mammon. Das hat sich leider gehalten.
Die harmlosen Achtziger
Die Mitte der 1980’er Jahre aufkommende SRPP-Schaltung hat sich bis heute überlebt. Was in einem Vorverstärker Sinn gemacht hatte (damals gab es noch Signalquellen mit unterschiedlichen Ausgangspegeln), sollte heute eigentlich nicht mehr verwendet werden. Die Philosophie, die hinter SRPP steht, hat man scheinbar nicht begriffen und kopiert die Schaltung in jeder nur erdenklichen Verstärkerart. Ob das Sinn macht, oder nicht. Diese „Philosophie» beantworte ich mit meiner Gegen-Philosopie, dass man derartige Verstärker ein „Filterchen» spendieren sollte, damit es überhaupt noch nach Röhre klingt.
Alter Streit
Dabei ist der Streit um die „richtige» Verstärkerphilosophie so alt, wie es Gegentaktverstärker gibt. Schon früh erkannte man, dass die Phasenumkehrstufe, also die Schaltung, die aus dem Eintakter ein „Zweitakter» macht, der Schwachpunkt eines solchen Verstärkers ist. Die Eintakt-Extremisten nahmen das natürlich begeistert zur Kenntnis und führten genau diese Schwachpunkte auf, um den Gegentaktverstärker zu verdammen. Argumente, die noch heute verwendet werden. Meist um den einen Eintaktverstärker (schon dreimal durch die Inventur gejagt) endlich loszuwerden.
Dabei haben auch Röhren-Gegentaktverstärker ihre Existenzberechtigung. Schon allein aus Effizienzgründen und weil es heute kaum noch effiziente Lautsprecher gibt. Das ist übrigens ein weiterer Bereich, wo verschiedenen Philosophien aufeinander prallen. Da nimmt sich der Streit, ob Eintakt oder Gegentakt, harmlos aus.
Alles eine Modeerscheinung
Ich hatte ja schon länger den Verdacht, dass die heutige HiFi-Philosophie eher der Mode folgt. Bestätigt wurde mir das nun von einem bekannten HiFi-Online-Blättchen. Hier verstieg sich der Verfasser in der Aussage, dass bestimmte Gerätetypen die HiFi-Mode der Saison werden würden. Dass das mit HiFi an sich nichts zu tun hat(te), hat man geflissentlich verschwiegen. Ich werde das mal im Auge behalten…
Meine Röhrenverstärker-Philosophie?
Ein Röhrenverstärker ist eine ganz alte Technik. Die lebt von einfachen Dingen. Dazu gehört auch, dass man die Röhre, in gewissen Grenzen, einfach „machen lässt». Laissez-faire, sozusagen. Auch darf ein Röhrenverstärker etwas brummen – wenn man das Ohr an die Lautsprechermembrane hält. Am Hörplatz sollte das natürlich nicht zu hören sein. Oder nur, wenn es Mucksmäuschen still ist.
Schaltungstechnisch bin ich irgendwie in den 1940’er / 1950’er Jahren stehengeblieben.
Äh… Das ist so nicht ganz richtig. Ich bin dahin zurückgekehrt (auch mich haben die 1990’er mal richtig gepackt) und wundere mich nicht mehr, warum so eine alte Technik, frei von jedem Technik-Gedöns heute noch funktioniert. Sie funktioniert einfach. Verdammt gut.
Wenn nur die Röhren nicht wären. Aber das ist eine ganz andere Geschichte…