Röhrentechnik
David Manley war pfiffig. Das „nicht auf den Kopf gefallen» ist in allen Belangen eine glatte Untertreibung. Das „um die Ecke denken» auch.
Die Technik an sich ist solide und schlicht – genauso wie die Modellbezeichnungen: „ST» steht für Stereo, „MB» für Monoblöcke und „IT» für „Integrated», also Stereo-Vollverstärker. Die Zahl dahinter steht bzw stand für die maximale Ausgangsleistung. Meist nicht Stereo-kumuliert, sondern oft pro Kanal. Später wurde das etwas geändert…
Bei den Leistungsverstärkern kannten die Manleys nur eine Schaltung, die nur in Details auf die Endröhren angepasst wurde. Einen Eintakter (Single-Ended) wird man übrigens lange und erfolglos suchen. Was zählte, war Leistung.
Nicht verhehlen lässt sich auch, dass sich auch ein solcher Fuchs wie Manley von technischen „Neuentwicklungen» und Modeerscheinungen blenden liess (Metallwiderstände und Tantalelkos). Auch die „segensreiche» Ultralineartechnik ging nicht spurlos an Manley vorüber.
Analysiert man die alten Schaltpläne, dann finden sich manchmal auch Bauteile, die im keinen Kosten- / Nutzen-Verhältnis stehen bzw. standen. Auf gut Deutsch: Sie waren bzw. sind schlichtweg überflüssig (weshalb sie dann später auch nicht eingebaut wurden). Es gab durchaus Stimmen, die das als „falsche Fährte» interpretierten. Auch das war gar nicht so ungewöhnlich…
Gerade bei Leistungsverstärkern schienen die Manleys (Vater und Sohn) aus Blei Gold gezaubert zu haben. Sie holten aus „normalen» Endröhren eine abstrus hohe Leistung, die nicht zu HiFi passte. Sie passte vor allem nicht zu den verwendeten Röhren. Und erst recht nicht zu der präferierten Ultralineartechnik aus dem VTL-Buch.
Die doch zahlreichen (und lauten) Kritiker vermuteten dahinter eine Betriebsart, die eher zu Instrumenten- bzw. PA-Verstärker gehörte. Das Fass zum Überlaufen brachte dann etwas später ein Verstärker mit den 807-Röhren (Der ST-120 wie eingangsseitig abgebildet).
Leistung durch Class-B
Diese Betriebsart verlangt nach einer aussergewöhnlich hohen Betriebsspannung. Genauso wie die einzustellenden Ruheströme. Nicht zuletzt arbeiten die Endröhren (Pentoden) im „weniger» HiFi-delen Pentodenmodus.
Die hohe Leistungsausbeute erkauft man sich mit einem hohen Klirrgrad und Verschleiss der Endröhren. Solche Verstärker waren astreine Röhrenkocher auf denen man Spiegeleier braten konnte. Also nichts für’s heimische Wohnzimmer.
Und dann kam Manley. Er kannte die PA-Verstärker aus der Studiotechnik und er kannte die HiFi-Verstärker. Und was machte er bzw. machten Vater und Sohn? Er (Sie) kombinierte(n) beide Techniken unter (augenscheinlich) grober Missachtung aller Datenblatt-Angaben.
Und sie machten dabei einen Fehler: Sie ahnten noch nicht, dass es mal Röhren geben werden wird, die darauf pfeifen das zu sein, was man ihnen auf’s Glas stempeln wird.
Alles schon mal dagewesen
Manley war aber nicht der einzige, der „normale» Röhren mit einer hohen Betriebsspannung zu malträtieren schien. Lange vor ihm arbeitete der Klangfilm-Verstärker V408a von Siemens (1959) mit 800 Volt auf ein EL34-Paar und entlockte den Pentoden dann sportliche 100W. In Class-A!
Ortofon setze mit dem GOS601 (von 1960), was Betriebsspannung angeht, noch eins drauf: 950V auf ein EL34-Paar. Class-B. Okay, das waren alles Röhrenverstärker, die man sich nicht in’s Wohnzimmer stellte…
Die Unterschiede dieser alten Verstärker gegenüber Manley bzw. VTL: Spannungsmäßig ging man am Schirmgitter „nur» bis knapp vor Grenzwert. Und sie waren allesamt im Pentodenmodus beschaltet. Manley bzw. VTL bewegte sich mit dem Ultralinearmodus bereits beim Einschalten der Verstärker auf „verbotenem» Terrain.
Marketing
Die Manleys (Beide) waren auch bezüglich Marketing ganz „pfiffig» unterwegs. Wie alle anderen auch in der HiFi-Branche, „spielten» sie mit den Zahlen. Heute ist man (gezwungenermaßen) reeller.
Die abstrus hohe Ausgangsleistung wurde nämlich an einem niedrigen Widerstandswert (4Ω, heute 5Ω) ermittelt. So produziert jeder Verstärker eine höhere Ausgangsleistung, als an 8Ω. Dieser niedrige Widerstandswert ist aber nur bedingt brauchbar bzw. aussagekräftig. Zumal der übliche Wert eines Lautsprechers (Impedanz) oftmals höher ist und vor allem nicht fix.
Der nächste Trick: Die Übertrager in den VTL-Verstärkern besaßen später oft nur einen 4Ω-Abgriff und es gab auch keine Möglichkeit, den Übertrager auf vorhandene (höhere) Lautsprecherimpedanz anzupassen.
Neuere Verstärker nennen eine absolut unübliche Lautsprecherimpedanz, auf die sich dann alles bezieht. Selbst wenn es einen 8Ω-Anschluss gegeben haben sollte, war der Übertrager dafür nicht ausgelegt.
Ob man nun wollte oder nicht, es kam (kommt) fast immer zu einer Fehlanpassung. Und damit war (ist) auch die angegebene Leistungsausbeute Makulatur. Aus 70W wird so nämlich beispielsweise ganz schnell „nur» 50W. Achtung: Die Fehlanpassung kann zur Folge haben, dass man zwar weniger Leistung erhält, der Klang aber deutlich gewinnt.
Wie die Leistung ermittelt wurde, wurde und wird nicht erwähnt. In den Manuals steht grundsätzlich nur „Leistung X an 4Ω». Üblich ist ja, mindestens das RMS zu nennen. In Deutschland war es lange Zeit das Sinus („gespielt» wurde dann noch mit Musikleistung und Spitzen- oder Impulsleistung, später als PMPO berühmt-berüchtigt geworden).
Die Ausgangsleistung sollte man daher, besonders bei älteren Verstärkern, nicht auf die Goldwaage legen. Und schon gar nicht sollte man das als „Dauerleistung» verstehen. Ich will es mal vorsichtig formulieren: Es ist ein Leistungs-Spitzenwert, der nur am Messplatz zu erzielen ist.
Andererseits macht es einen deutlich hörbaren Unterschied, ob man mit einem Verstärker hört, der nur 10 Watt schafft, oder 50, 80 oder gar 100 Watt.
Die Frequenzangabe (bei den älteren Geräten) „20Hz bis 20kHz» ist auch so eine Geschichte. Üblicherweise wird das (hierzulande) mit einer Abschwächung (beispielsweise -3dB) genannt. Diese Abschwächung hat zunächst der Übertrager zu verantworten. Und: Je höher die abgerufene Leistung, desto schlechter wird’s. Beispiel: Bei einem Watt „kann» der Verstärker 10Hz bis 50kHz. Bei 30W sind es dann 20Hz bis 40kHz bei 50W „nur noch» 40Hz bis 20kHz.
Ein anderer „Marketing-Kniff» war die Sache mit „Making tubes user-friendly». Das bezieht (bezog) sich nur auf die damals noch ungewöhnliche Art, die Ruheströme von aussen einstellbar zu machen.